Die guten Schwestern
Kriegsverbrechen an der Ostfront teilgenommen hatte.
»Dann mußt du ja fast achtzig sein«, sagte ich tumb.
»Achtundsiebzig«, sagte er. »Es sind nicht mehr viele übrig, und die meisten sitzen als senile Greise im Pflegeheim, aber mir hat Gott eine kräftige Gesundheit geschenkt.«
»Und wer ist Karl Henrik? Er kann unmöglich dein Sohn sein.«
»Er ist mein Neffe. Er ist der Vereinssekretär, aber davon können wir dir später noch erzählen. Das hier drüben ist sein Großvater, komm…« Er zeigte in eine Ecke des Raums, ließ aber meinen Arm wieder los, als er meinen Gesichtsausdruck sah. Neben zwei Wehrpässen mit Hakenkreuz waren einige Fotos ausgestellt. Eines zeigte einen Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Karl Viggo Jensen hatte. Er saß mit einer Pfeife im Mund und einem Gewehr auf den Knien auf einem Panzerwagen.
»Das ist Hans Peter. Das Bild wurde nicht weit von Zagreb in Jugoslawien aufgenommen, wo das Regiment Nordland 1943 war. Hans Peter kam nicht mehr nach Hause. Er fiel 1944 bei Narva. Dort liegt er begraben. Wir fanden vor ein paar Jahren seine Überreste und gaben ihm ein christliches Begräbnis. Die Esten haben größeres Verständnis für unseren Einsatz gegen die Roten, als man es hierzulande hat. Und schau dir mal das andere Bild an.«
Auch darauf war mein Vater zu sehen. Er hatte einen nackten Oberkörper und seifte sich anscheinend gerade ein, bevor er sich unter einer provisorischen Dusche abspülen wollte, die in einem Baum aufgehängt war. Er sah dünn, aber doch kräftig aus. Am Bildrand stand eine junge Frau und hielt die Hände vor die untere Gesichtshälfte, aber man konnte sehen, daß sie sich vor Lachen über die Späße, die der dänische SS-Mann auf Lager hatte, gar nicht mehr einkriegte.
»Das ist Andrea. Dein Vater konnte Andrea richtig gut leiden. Und sie ihn auch. Sie war die Tochter eines örtlichen Ustascha-Kommandanten, der uns dabei half, die italienischen Feiglinge zu entwaffnen und Titos Partisanen zu jagen, diese Teufel… und dann schau mal hier.«
Es war ein kleineres Foto in einem hellen Holzrahmen, eine Farbaufnahme. Es war an einem Sommertag in einer Waldlichtung aufgenommen worden. Darauf war eine Menschengruppe, darunter meine Schwester Irma und mein Bruder Fritz, um einen Gedenkstein versammelt, auf dem man die Worte erkennen konnte: »Sie fielen für Dänemarks Ehre«. Unter den Menschen, die den Stein umstanden, erkannte ich auch Karl Viggo und Karl Henrik Jensen.
»Wie gesagt, das neue Estland versteht unseren Einsatz. Wir kämpften gegen die heidnischen Kommunisten. Wir kämpften gegen den Iwan. Das Bild stammt vom 2. Juni 1998. Der Stein wurde am Geburtstag von Christian Frederik von Schalburg errichtet. Das erschien uns ein passendes Datum. Er war ein tapferer Soldat und ein guter Däne.«
»Und ein verdammter Nazi und Antisemit«, entfuhr es mir, aber er behielt seine ruhige Stimmlage und sagte:
»Ja. Das war ich auch, aber das ist Vergangenheit. Der Nationalsozialismus starb 1945 in einem Bunker in Berlin. Das verstehen die jungen Leute nicht. Daß es eine hoffnungslose Sache ist, obwohl der Nationalsozialismus als Widerstand gegen den Kommunismus und soziale Garantie gegen den Kapitalismus ein richtiger Gedanke war. Aber damit ist Schluß. Das war der Fehler, den wir begingen. Wir verloren den Krieg. Weder kann noch soll der Nationalsozialismus wieder aufleben. Darum geht es nicht.«
»Und worum geht es dann?« sagte ich wütend und ohnmächtig, aber auch demütig.
»Gerechtigkeit, Teddy. Es geht um Gerechtigkeit«, sagte er.
Ich konnte diesen Raum nicht mehr ertragen. Seine schwarze Ästhetik und seine Verehrung des Bösen gingen mir gegen den Strich. Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging ohne ein Wort an Fritz vorbei in den Garten, wo ich tief durchatmete, als könnte die frische Luft meine Seele von dem verzerrten Spiegelbild eines Teils meiner Familie befreien, das der geheime Raum beherbergte. Ich zündete mir eine Zigarette an und rauchte hastig, während ich in die noch nackten Zweige der Blutbuche hinaufschaute. Teddy mit Zigarette unter Blutbuche hat einen Schock bekommen, könnte das Bild heißen. Und meine Angewohnheit, mich selbst von außen zu sehen und mich über meine Lage lustig zu machen, ließ die Sache wieder ein bißchen weniger dramatisch aussehen. Ich hatte meinen Vater ja nicht gekannt. Ich hatte seine Gene, aber das bedeutete nicht, daß ich auch seine Überzeugungen teilte oder sie übernehmen
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