Die guten Schwestern
Widerstandsbewegung nach dem Krieg auf ein Nebengleis schieben und die Freiwilligen auf rechtswidriger Grundlage verurteilen. Das ist deiner Schwester klar. Gerade weil sie Sozialistin ist, ist sie darauf aus, daß der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen wird.«
Ich klatschte ironisch Beifall und lobte seinen kleinen feinen Vortrag, sah allerdings ein, daß ich nicht zu ausfallend werden durfte, um die angespannte Situation nicht in offene Aggression ausarten zu lassen.
»Hört mal zu«, sagte ich in einem Ton, als spräche ich mit dummen, ungezogenen Grundschülern. »Kann ja sein, daß es banal ist, aber es ist auch plausibel. Menschen treffen eine Wahl. Einige traten in die Widerstandsbewegung ein. Andere verhielten sich passiv und versuchten das Beste aus der Zeit zu machen. Wieder andere entschieden sich dafür, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und zur SS zu gehen. Aber den Strich im Sand haben sie ganz allein und selbst überschritten. Das war nicht die Schuld der Gesellschaft, zum Teufel.«
Karl Viggo Jensen hob ein wenig die Stimme:
»Die Musik bekam allerdings einen anderen Ton, als die Sowjetunion kollabierte. Plötzlich haben alle das wahre Gesicht des Kommunismus gesehen. Wenn die Westmächte eine gemeinsame Front gegen Stalin gebildet hätten, hätte die Welt anders ausgesehen. Das war ein böses System. Wir haben das böse System bekämpft, das das kleine Finnland und die baltischen Staaten überfiel. Es war unsere Pflicht.«
»Stalin war ein Schwein«, sagte ich wirklich verärgert. Ich hatte die Nase voll, daß letztendlich alles in einen moralischen Topf geworfen wurde. »Darüber brauchen wir nicht zu streiten, aber die Kommunisten haben nie gesagt, daß die eine Rasse der anderen überlegen sei. Sie waren nun mal keine Rassisten. Ursprünglich waren sie sogar Idealisten. Der Kommunismus ist eine schöne Idee. Das ist der Nationalsozialismus weiß Gott nicht. Auch zwischen den totalitären Systemen gibt es Unterschiede, Herrgott! Die Nazis waren Rassisten. Sie verstanden sich als Übermenschen.«
Karl Henrik sah mich verdrossen an.
»Ich bin nur ein Amateurhistoriker, aber es gibt auch gestandene Historiker, unter anderem an der Universität deiner Schwester, die die Sache mit anderen Augen betrachten. Es findet ja zur Zeit eine gewisse Revision der Geschichte statt. Mit einer nuancierteren Sicht auf die Besatzungszeit. Es dominieren nicht mehr nur die Überzeugungen der Widerstandsbewegung. In bestimmten Historikerkreisen setzt sich so langsam die Erkenntnis durch, daß sich auch die Widerständler in ihrer Rachgier Übergriffe haben zuschulden kommen lassen.«
»Ja. Da hast du leider recht. Alle Dänen waren Opfer. Bloß waren manche mehr Opfer als andere. Es darf nur nicht das passieren, was russische Gymnasiasten von ihrer Geschichte sagen«, sagte ich und deklamierte wie ein Schmierenkomödiant: »›Russische Geschichte? Die zu lernen ist viel zu schwer. Die wird nämlich am laufenden Bande umgeschrieben.‹«
Das fanden sie gar nicht lustig. Sie verzogen kaum eine Miene und lächelten nur höflich. Ich war ja Gast, und wir waren auf dem Lande, wo man noch immer die Form wahrt. Der Alte schenkte mir dann doch einen Kognak ein, und diesmal war ich so dumm, nicht nein zu sagen, und er schmeckte ja auch nicht schlecht. Fritz hatte sich seine Zigarre wieder angezündet und sagte plötzlich mit lauter Stimme:
»Du weißt ja nicht, wie es war, als Sohn unseres Vaters aufzuwachsen. Oder als Tochter. Wie wir gehänselt wurden. Wie wir Nazibrut genannt wurden, bis wir endlich weggezogen sind und die Leute die Sache langsam vergaßen, als die guten Zeiten Einzug hielten. Du bist da herausgehalten worden. Du warst der Kleine. Du solltest davon verschont bleiben. Poul hat Mutter verboten, mit dir über die Vergangenheit zu sprechen. Poul hat Vaters Andenken verraten…«
Jetzt wurde ich sauer. Er durfte meinen netten, gutmütigen und lieben Stiefvater nicht beleidigen.
»Halt Poul außen vor, Bruderherz. Er war mein Vater, und du und Irma, ihr könnt dann euern beschissenen Nazivater und Ostfrontfreiwilligen behalten!«
Ich merkte, daß Fritz wütend wurde, und plötzlich mußte ich daran denken, daß er mich ein paarmal geschlagen hatte, als ich klein war. Es war ein aggressiver Zug in seinem Charakter. Womöglich hatte er ihn in der Geschäftswelt benutzt, die ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht hatte, aber vielleicht hatte er auch einfach nur das Talent, Brot zu backen und zu
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