Die guten Schwestern
unheimlicher Raum, den wir betraten, obwohl er mit seinen Wandbildern und den kleinen Schaukästen mit Ausstellungsgegenständen einem kleinen Heimatmuseum glich. Das Ausgestellte selbst machte den Raum unheimlich. Es war ein Gedenkzimmer für die SS mit Fotos von Offizieren in schwarzen Uniformen und SS-Runen auf dem Kragen, großen Schwarzweißfotos mit Schlachtszenen, einem Dannebrog mit der Aufschrift »Frikorps Danmark«. Waffen, Orden, verblaßte Briefe und Papiere, Tagebücher anscheinend, Gasmasken, militärische Dienstgradabzeichen, Uniformgegenstände, Hundemarken. Der ganze Scheiß, der auf Schlachtfeldern so übrigbleibt. Karten von den Schlachten am Ilmensee, bei Stalingrad und Narva waren sorgfältig in Glasvitrinen ausgebreitet. Mit Pfeilen und kleinen Buchstaben, die die Regimentszugehörigkeit angaben. Als ob das irgend jemanden interessierte außer denjenigen, der daran teilgenommen hat. Im übrigen waren sie selbst für einen Historiker wie mich unverständlich. Es waren läppische Schlachten an einer häßlichen Front, aber selbstverständlich interessierte die Teilnehmer genau dieser Frontabschnitt mit seinen kleinen Siegen und Niederlagen. In Wirklichkeit ist der Krieg für den gewöhnlichen Soldaten eine Frage des nächsten Grabens und der nächsten Schutzhecke und der nächsten warmen Mahlzeit. So etwas auszustellen, darauf könnte ein kleines Heimatmuseum mit seinen begrenzten Mitteln stolz sein, wenn es nur keine Ausstellung war, die den Verlierern huldigte – und damit dem Bösen. Karl Viggo Jensen sagte nichts, sondern stand an der Tür, während ich die Runde machte und die Exponate betrachtete. Fritz stand in der Ecke und starrte nach unten und scharrte mit den Füßen auf dem sauber gescheuerten Boden. Das ist immer noch ein Schweinestall, dachte ich, sagte aber nichts. Vielleicht war ich einfach ein wenig ängstlich, vielleicht wollte ich Fritzens Gefühle nicht verletzen. Manche Bilder kannte ich sehr gut. Das Freikorps Dänemark auf Heimaturlaub 1942 zum Beispiel. Der dänische Naziführer Frits Clausen hält eine Rede, war ein anderes bekanntes Motiv. C. F. von Schalburg mit seinem kleinen Sohn in SS-Uniform hatte ich auch schon einmal gesehen. Aber eine ganze Reihe anderer Fotos, die ganz gewöhnliche junge Dänen mit Hakenkreuz und Dannebrog an verschiedenen Orten der Ostfront zeigten, war neu für mich. Die Historiker hatten sich mit der Geschichte der Verlierer nicht sehr beschäftigt. Um dieses dunkle Kapitel der Besatzungszeit zu erforschen, hatte es lange Zeit weder Gelder noch Stellen gegeben. Aber beim Herumgehen wurde mir klar, daß dies hier kein nüchternes, wenn auch geheimes Museum war. Es war ein Gedenkraum, der so sorgfältig gehütet und gepflegt wurde, als wäre die ganze Sache ein Teil der Jetztzeit und behandelte nicht die bald sechzig Jahre alte Geschichte der dänischen Landesverräter. Als wenn einige Leute sagen wollten: Wir existieren. Wir wollen nicht vergessen werden. Wir sind ein Teil von euch.
Auf einem Bild war ein Waffen-SS-Offizier zu sehen, der Karl Viggo Jensen aufs Haar glich, nur in einer weit jüngeren Ausgabe. Wenn er es wirklich war, hatte ich mich in seinem Alter vollkommen verschätzt. Er stand neben einem anderen Mann, den ich als meinen Vater erkannte.
»Ja, das sind ich und dein Vater, Teddy«, sagte Karl Viggo Jensen. Er war hinter mich getreten, ohne daß ich ihn gehört hatte. Ich starrte das Bild mit ebenso großer Faszination wie Aversion an. Die beiden jungen Männer standen in ihren schwarzen Uniformen und mit den schief sitzenden Schiffchen nebeneinander und trugen ein breites Lächeln auf den Lippen. Mein Vater hielt eine Maschinenpistole auf Hüfthöhe wie ein Großwildjäger, der ein wildes Tier erlegt hatte. Aber hinter den beiden Männern lag ein Haufen Leichen in Reih und Glied wie ausgestellt nach einer Jagd.
»Das waren russische Partisanen. Die hatten einen von uns getötet, einen Dänen aus Himmerland, und ihm die Augen ausgestochen. Dann rückten wir in das Dorf ein, und dann bereuten sie ihre Tat. Der Krieg ist eine Schweinerei, das kann ich dir sagen.«
Ich sagte nichts. Ich spürte zunehmende Übelkeit, je länger ich mir das Foto mit meinem Vater ansah. Obwohl ich ihn eigentlich nicht gekannt habe, hatte ich ja seine Gene in mir. Und obwohl ich nicht der Meinung bin, daß die Sünden der Väter an die Söhne vererbt werden, war es doch allerhand, mit der Tatsache konfrontiert zu werden, daß der eigene Vater an
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