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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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müßte. Ich war Teddy, der gute, alte, distanzierte Teddy. Außerdem handelte es sich hier um Geschichtsmaterial, das kühl und objektiv analysiert werden konnte. Es gab also keinen Grund zur Panik. So rauchte ich in dem großen Garten meine herrliche Zigarette, räsonierte vor mich hin und versuchte, mein rasendes Herz unter Kontrolle zu bringen.
    Es gab Hering und Bier und Schnaps, Hausmacherwurst, Rippchen und Apfelspeck, den ich seit unermeßlichen Zeiten nicht mehr gegessen hatte. Der Duft der säuerlichen Äpfel und des geräucherten Specks kitzelte in der Nase. Die Schwarte war knusprig, daß es knirschte. Der marinierte Hering mit selbstgemachtem Currysalat hatte genau die richtige Konsistenz. Man hätte glauben können, ich hätte zuvor jeglichen Appetit verloren, aber Teddy steht nun mal auf politisch unkorrektes Essen, und da er lange in Jannes Salat-, Brot- und Pastahölle geschmort hatte, futterte er mit Heißhunger. Dem Appetit wurde mit ein paar handfesten Schnäpsen und gekühltem, original fünischem Bier noch nachgeholfen. Die alte Dame bediente uns, so daß nur wir vier Männer zu Tisch saßen. Natürlich herrschte anfangs eine eher gekünstelte Stimmung, obwohl alle mit Lust aßen, auch Fritz, der meinem Blick jedoch auswich. Aber der alte Herr mit den kalten blauen Augen und der erstaunlich glatten, pergamentartigen Haut, deren Alter nur die Leberflecken verrieten, ließ sich nichts anmerken und unterhielt sich mit seinem Neffen zwanglos über alltägliche Begebenheiten der Gegend: über eine Kuh, die gekalbt hatte, einen Sohn, der Pech gehabt hatte, über eine bevorstehende Hochzeit und den neuen Pfarrer, der aus Odense stammte. Sie versuchten nicht, uns in ihr Gespräch zu ziehen, forderten uns aber regelmäßig zum Essen auf, da Frau Jensen immer neue Speisen auftrug. Mir lagen mehrere Fragen auf dem Herzen, die ich meinem Bruder oder am liebsten Irma unter vier Augen stellen wollte, aber ich hatte keine Lust, die beiden Fremden in unser Familiendrama einzuweihen. Außerdem war das altertümliche Essen ausgezeichnet, obwohl allein der Fettanteil des Apfelspecks die Herrschaften der Dänischen Herz-Gesellschaft veranlaßt hätte, sich siebenmal zu bekreuzigen, ehe sie uns zu ebenso vielen Jahren Gemüse und ballaststoffreicher Nahrung verknackt hätten.
    Es wurden Kaffee und eine Flasche Kognak auf den Tisch gestellt, aber letzteren lehnte ich dankend ab. Mir fiel ein, daß ich noch nach Kopenhagen zurückfahren mußte. Auch die Zigarre ließ ich liegen. Ich wollte lieber eine Zigarette. Als der Tisch und die niedrige Stube mit den geschwärzten Deckenbalken erst in blauen Dunst gehüllt waren, ließ der alte Mann alle Hemmungen fahren. Er erklärte mit der tiefen Stimme, die der Neffe so reichlich geerbt hatte, daß er nichts bereue, aber daß er erkannt habe, daß er zu den Verlierern gehöre. Daran sei nicht zu rütteln. Von den alten Frontschweinen gab es nicht mehr so viele auf der Welt. Aber einmal im Jahr trafen sie sich in Österreich, wo man den Kreuzzug gegen den Bolschewismus mit größerem Verständnis betrachtete. Dort konnte man in den Kneipen sitzen und die alten Lieder singen. Dort konnte man sehen, ob die alten Uniformen noch paßten. Dort konnte man die Kriegsgeschichten vom gerechten Kampf gegen Judentum und Kommunismus erzählen. Der Apfelspeck versauerte mir im Magen, und Fritz und Karl Henrik Jensen rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Das bemerkte der Alte natürlich auch und sagte:
    »Wer behauptet eigentlich, wir hätten sechs Millionen Juden ausgerottet? Wer hat die ganzen Leichen gezählt, verdammt noch mal?«
    »Es gibt keinen Grund, das zu verteidigen«, sagte Karl Henrik Jensen. »Man kann diese Vernichtungen nicht verteidigen, egal wie viele oder wie wenige es waren. Schon einer war einer zuviel. Darum geht es ja auch gar nicht.«
    »Nichts für ungut, Karl Henrik. Nichts für ungut. Ich bin ein alter Mann. Ich darf meine Einstellungen mit ins Grab nehmen.«
    »Ja, worum geht es denn hier eigentlich, Fritz?« sagte ich, aber es war Karl Henrik Jensen, der antwortete. Er hielt die Zigarre senkrecht vor sein Gesicht, während er sprach, so als wollte er sie studieren. Fritz fuhrwerkte mit seiner grauen Zigarrenspitze im Aschenbecher herum, so daß die Glut abfiel.
    »Es geht um Gerechtigkeit«, sagte Karl Henrik. »Es geht darum, für die Dänen, die auf deutscher Seite an der Ostfront dienten, Genugtuung zu erlangen. Das ist das Ziel des

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