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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Glücksgefühle dieser Art müßten fast zwangsläufig eine Strafe nach sich ziehen. Dieses nordeuropäisch-protestantische Schuldbewußtsein verschwand, sobald er richtig wach geworden war. Und das ging sehr schnell. Früh aufzustehen und auf der Stelle hellwach zu sein war ihm seit seiner Militärzeit zur Gewohnheit geworden.
    Zur Zeit aber blieb er noch ein wenig liegen, ließ seine Hand über Lises gewölbten Bauch gleiten und hörte, wie sie genießerisch stöhnte, und wenn er Glück hatte, konnte er das strampelnde Leben des Kindes in ihrem Bauch spüren. Ihre Haut war weich und feuchtwarm, und der gespannte Bauch fühlte sich wie ein glattes Stück Samt an. Ihre Brust war schon voller Milch, und wieder beschlich ihn dieses gefährliche Glücksgefühl.
    »Habt ihr gut geschlafen?« fragte er.
    »Hmmm…«, machte sie. »Sie nimmt viel Platz ein und macht zuviel Gymnastik, und ich bin dick wie eine Kuh«, murmelte sie.
    »Du bist schön«, sagte er. »Ihr seid beide schön.« Er stützte sich auf den Ellbogen und strich ihr eine Strähne aus der Stirn.
    »Ich bin dick«, sagte sie. »Und ich bin schläfrig, und ich hab frei.«
    »Du bist schön und herrlich«, sagte er wie in einem Schlager. »Und es sind nur noch vier Wochen.«
    »Du weißt nicht, was vier Wochen in meinem Zustand bedeuten. Die kommen einem vor wie hundert Jahre«, sagte sie. »Und ich bin schläfrig, und ich hab jetzt Mutterschaftsurlaub.«
    Er küßte sie auf die Stirn und den Mund, und sie lächelte, obwohl sie die Augen geschlossen hielt. Er stand auf und schloß das Schlafzimmerfenster, schlüpfte in seine Boxershorts und sein T-Shirt, zog den Trainingsanzug darüber, trank ein Glas Leitungswasser und trabte aus dem Haus in Ganløse in Richtung Wald, der nördlich des Ortes lag. Der Wind kam aus Südwesten und trug Regen mit sich. Es war nur wenige Grad über null, und die Erde unter seinen Laufschuhen fühlte sich hart an, auch noch als er den Wald erreicht hatte und auf den Wegen lief, die zwischen den Laub- und Nadelbäumen hindurchführten. Schnell fand er seinen Rhythmus, er atmete ruhig und dachte an den Tag und den kommenden Termin, zu dem ihn Jette Vuldom, seine alte Chefin vom Polizeilichen Nachrichtendienst, gebeten hatte. Er freute sich darauf, auch wenn er nicht wußte, worum es eigentlich ging. Im stillen hoffte er – und wagte es doch nicht, diese Hoffnung allzusehr in sein Bewußtsein vordringen zu lassen –, daß sie ihn vielleicht auffordern würde zurückzukommen. Die Möglichkeit gab es, auch wenn sie vielleicht nicht besonders groß war. Wahrscheinlich erwarteten ihn bloß ein paar klärende Fragen in Verbindung mit einer der ewigen Untersuchungen. Es war ihm klar, daß er nach seinem Versagen im Attentatsfall Sara Santander mit der Versetzung zur Flughafenpolizei relativ billig davongekommen war, aber er vermißte den PND und die Arbeit beim Abschirmdienst, er vermißte es, sich am Rande des Gesetzes in einer Schattenwelt zu bewegen, in der andere Regeln galten. Er joggte im frühen Märzlicht und dachte auch daran, daß der Krieg nun wieder nach Europa gekommen war. Die NATO hatte angefangen, Jugoslawien zu bombardieren, und Dänemark nahm zum ersten Mal offiziell an einem Angriffskrieg gegen eine souveräne Nation teil. Er konnte sich vorstellen, daß dies eine erhöhte Bereitschaft bedeutete, und hegte die schwache Hoffnung, daß er dabeisein könnte. Obwohl er versagt hatte und der serbische Däne Vuk nach seinem glücklicherweise mißlungenen Attentat entkommen war, hatte das Ereignis doch auch ein Geschenk für ihn bereitgehalten. Er hatte Lise Carlsen kennengelernt, und wunderbarerweise hatte sie sich auch in ihn verliebt, sie hatten geheiratet und erwarteten ein Kind. Sie hatte sogar eingewilligt, aus der Kopenhagener Wohnung, in der sie mit ihrem von Vuk ermordeten Mann gelebt hatte, in ein neues Haus in Ganløse zu ziehen. Eine eingefleischte Kopenhagenerin hatte sich in einen Vorstadtmenschen verwandelt. Dem Kind zuliebe.
    Er lief leicht und unbeschwert und spürte das Leben in seinem Körper, als er an seiner persönlichen Fünf-Kilometer-Marke umkehrte und heimwärts trabte. Langsam verschwanden alle Gedanken aus seinem Bewußtsein, und auf dem Rückweg in dem schönen Morgenlicht, das zwischen den unbelaubten Bäumen flimmerte, fühlte er sich einfach leicht und leer und glücklich. Bald war es April, das spürte man deutlich. Obwohl er über vierzig war, hatte er seinen Körper noch im Griff. Das war

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