Die guten Schwestern
ihm wichtig. Per Toftlund war ein ausgesprochen physischer Mensch. Sein Leben lang hatte er körperliche Herausforderungen gesucht, von der Zeit als Freiwilliger bei den Kampftauchern bis zu seinem Eintritt in die Polizei, als selbst sein Körper den harten Anforderungen eines aktiven Froschmanns nicht mehr genügte und ein Schreibtisch plus Lehrtätigkeit am Horizont lauerte. Er bog in das neue Viertel ein, das ihr Zuhause zu nennen sie noch lernen mußten, und als er den Carport erreicht hatte, machte er seine Dehnübungen. Sie hatten sich für das Haus entschieden, weil es bezahlbar und ganz neu war, so daß sie nur noch einzuziehen brauchten. Die Gärten waren noch nicht angelegt. Die Erde lag in naßschwarzen Haufen um die kleinen roten Häuser herum. Aber es würde schön werden. Außerdem hatte der Makler ihnen erzählt, daß bereits mehrere Familien mit Kindern ihr Interesse angemeldet hatten. Für Per und Lise, die späten Eltern, die dem Ereignis mit einer Mischung aus Freude und Besorgnis entgegensahen, war das plötzlich zu einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit geworden. Das mit dem Geld war ja eigentlich kein Problem. Lise hatte eine ordentliche Summe aus Oles Lebensversicherung und dem Verkauf seiner Psychologenpraxis erhalten, aber für Per war das Lises Geld. Er hatte sich nur überreden lassen, den Verkaufspreis der Wohnung in den Erwerb des Hauses und ihr zukünftiges gemeinsames Leben fließen zu lassen. Das übrige Geld wollte er nicht anrühren, obwohl sie von Gütertrennung nichts hören wollte. Einen Teil des Geldes wollten sie auf jeden Fall für das Kind fest anlegen. Per wollte an dieses Geld am liebsten gar nicht denken. Man mußte mit dem auskommen, was man verdiente. So hatte er es immer gehalten. Was leicht kam, pflegte auch leicht wieder zu gehen.
Per stellte sich unter die Dusche und aß einen Toast mit Käse. Er küßte die noch halb schlummernde Lise mit ihrem großen Bauch und ihrem Duft nach Bett und Schlaf und fuhr in die Borupsallee, wo in einem niedrigen graubraunen Betongebäude der Polizeiliche Nachrichtendienst residierte. Der Verkehr in die Stadt war dicht und zäh. Es waren die Fahrtzeiten, die Lise am Vorstadtleben am meisten störten. Sie war gewohnt gewesen, das Rad zu nehmen, und jetzt mußte sie hier zusammen mit allen andern im Stau stehen, wenn sie morgens zur Arbeit mußte. Was glücklicherweise selten der Fall war. Sie würde sich schon noch daran gewöhnen. Das Tageslicht kämpfte darum, den Grauschleier und den Nieseldunst zu durchdringen, die sich über die Stadt gelegt und sie naß und dreckig gemacht hatten. Und glänzend, als wenn jemand altes Öl auf Straßen und Häuser geschmiert hätte.
Als er am Rande der vielbefahrenen Schnellstraße kurz vor dem großen gelben Post- und Telegrafengebäude den häßlichen grauen Betonklotz mit den roten Fenstern sah, war es ihm, als käme er nach Hause. Hier hatte er die beste Zeit seiner Polizistenkarriere verbracht. Das Gebäude hatte weder den Duft noch die Geschichte oder das besondere autoritäre Aussehen des alten Polizeipräsidiums, aber womöglich barg es mehr Geheimnisse als alle anderen Polizeistationen zusammen. Er kannte es so gut und fühlte sich in seinen funktionalen, rechteckigen Gängen pudelwohl. Er ging nach oben und grüßte wie selbstverständlich Jette Vuldoms Sekretärin. Jette Vuldom war nun schon die zweite Chefin der Geheimpolizei. Ihre Vorgängerin Jansen war die erste Nachrichtendienstchefin der Welt gewesen, und daß eine Frau einen Geheimdienst leitete, war immer noch eine Seltenheit. Toftlund hatte zur Vuldom immer einen guten Draht gehabt. Er fand sie tüchtig, und er hatte nichts gegen weibliche Chefs, Hauptsache sie waren professionell. Überdies hatte sie das Talent, sich im politischen Spannungsfeld zwischen Offenheit und Zugeknöpftsein gegenüber Medien und Politikern geschickt zu bewegen. Das Recht auf Information in einer Demokratie zu berücksichtigen und andererseits im Spiegelkabinett der Nachrichtendienste das für sich zu behalten, was notwendigerweise vertraulich bleiben mußte. Um die Demokratie zu beschützen, müssen die Regeln der Demokratie ab und zu gebrochen werden, wie Jette Vuldom es in einem ihrer seltenen, aber gefragten Seminare im Ausbildungszentrum des PND bei Avn0 formuliert hatte.
Per klopfte an. Vuldom saß mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch. Nur ein paar grüne Mappen lagen neben dem Telefon und der
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