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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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auf einem Computerschirm. Warschau hatte sie im System. Bujić war nur einer der Namen, unter denen die jugoslawische Staatsbürgerin auftrat. Am interessantesten war, daß der Sicherheitsdienst sie auch unter dem skandinavisch klingenden Namen Katrine Ulf borg führte, die 1995 mit schwedischen Papieren nach Polen eingereist war. Wer war sie? Darüber wollte sein Kollege in Warschau nicht am Telefon sprechen, aber gern unter vier Augen in seinem Büro in der polnischen Hauptstadt. Toftlund buchte auf der Stelle einen Flug.
    Er rührte das Essen nicht an, sondern trank nur einen Kaffee. In Dänemarks großes Nachbarland zu reisen war einst eine beschwerliche Angelegenheit gewesen. Es war eine Reise in ein anderes System und eine andere Welt, in der der Kommunismus alles auf den Kopf gestellt hatte. Weniger als eine Flugstunde von Kopenhagen entfernt herrschte eine Lebensweise, die die der Dänen hätte werden können, wenn nicht die Briten, sondern die Russen Dänemark 1945 befreit hätten. Zur Zeit der Volksrepublik war Toftlund nur einmal dort gewesen. Das einzige, woran er sich erinnerte, war die graue Armut und das ständige Gefühl der Überwachung. Daß die Lüge und die Verstellung die ständigen Begleiter jedes denkenden Menschen waren. Er vermißte die Berliner Mauer nicht. Das konnten nur Menschen, die die Vergangenheit vergessen hatten. Er spürte einen Druck in den Ohren, als die Maschine mit dem Sinkflug begann. Flache, gräuliche Felder mit vereinzelten Häusern tauchten auf, als sie unter die Wolkendecke glitten und zur Landung ansetzten. Die Paßkontrolle war reine Formsache, und er passierte den Zoll mit seinem Handgepäck ohne weiteres.
    Er schaute sich in der Schar der wartenden Menschen außerhalb des Zollbereichs um. Dort sah er einen etwa dreißigjährigen Mann mit einem Pappschild, auf dem »Toftlund« stand. Per trat auf ihn zu. Mit seiner grauen Windjacke und der nicht ganz passenden Hose sah er wie ein typischer Bulle aus. Sein Gesicht war flach und dunkel und hatte Aknenarben, und beim Lächeln leuchteten drei Goldzähne auf. Er roch nach Tabak, und als er die Hand zum Gruß ausstreckte, glitt seine Jacke zur Seite, und Toftlund bemerkte die Pistole im Holster an seiner Hüfte.
    »Toftlund?« fragte der Kollege langsam, als hätte er den Namen extra eingeübt.
    » Yes.«
    »Little English. I driver. Take you to boss.«
    »Okay.«
    Mit schnellen Schritten ging er zur Tür. Die Luft war feucht und kalt, es wehte ein frischer Wind, der die nackten Bäume schwanken ließ. Er parkte genau vor der Ankunftshalle. Das Auto war ein älterer, grauer Mercedes, aber der Motor schnurrte nur so, als sie in hoher Geschwindigkeit in Richtung Stadt fuhren. Toftlund saß im Fond und sah die grauen und gelben Betonblöcke vorbeisausen. Überall standen große Reklameschilder vor allem für amerikanische Waren herum. In dem grauen Dunst sah das alles trostlos und unfertig aus. Als stünde man inmitten einer Entwicklung, die ins Stocken geraten war. Und so war es wohl eigentlich auch, dachte Toftlund. Nach fast fünfzig Jahren Kommunismus stellt man die Weichen nicht innerhalb von zehn Jahren um. Es war ein seltsames Durcheinander. Inmitten von Wohnvierteln, wo die Farbe in großen Fladen von den Wänden fiel, lag eine brandneue Tankstelle. Ein großes Einkaufszentrum, das ebensogut am Rande von Kopenhagen hätte liegen können. Aber plötzlich befand er sich wieder unverkennbar im alten Mitteleuropa, als er ein altes Muttchen am Straßenrand bemerkte, das an einem kleinen Stand Wurzelgemüse feilbot.
    Dann wurden sie von der Stadt verschluckt, und der Verkehr wurde dichter. Es gab viele neue Autos, und die Passanten waren durchgehend gut gekleidet. Der Fahrer sprach kein Wort, sondern schlängelte sich zielstrebig und sicher an den Straßenbahnen vorbei, die mit Werbung bepflastert waren. Sie passierten einen Wolkenkratzer, der ein Geschenk von Stalin gewesen war, wie Toftlund sich erinnerte. Er hatte ihn als monströses, massives Bauwerk in Erinnerung, das seine Umgebung beherrschte, jetzt aber duckte es sich beinahe neben all den modernen Hochhäusern aus Glas und Beton. War er in Warschau oder in Frankfurt? Sie bogen um eine Ecke und fuhren an einem Park vorbei, wo die Leute gegen den Wind ankämpften. Die blattlosen Zweige mit den noch kleinen Aprilknospen reckten sich dem Himmel entgegen, als riefen sie ihn um einen baldigen Frühling an. Es waren viele Menschen unterwegs. An den Hausfassaden saßen

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