Die guten Schwestern
Arbeit redete. Wie vor ihrer Hochzeit. Alles war pst-pst und nicht sehr dänische Geheimniskrämerei und Mangel an Vertrauen. Obwohl sie von seinen ewigen Klagen über den Job bei der Paßpolizei eigentlich die Nase ziemlich voll hatte – immer wieder die gleichen Geschichten –, vermißte sie sie schon nach den paar Tagen, in denen Per wie eine Schmetterlingslarve seine Metamorphose vom langweiligen Schichtdienstler zu einem von Jette Vuldoms Jungs durchlief. Und von der Vuldom in der Chefetage bis zum neu eingestellten Laufburschen liebten sie durch die Bank ihr idiotisches, heimliches Spiel, bei dem sie die Gespenster der Vergangenheit und die Spione der Gegenwart jagten.
Sie vergoß ein paar Tränen, als Per aus der Tür war. Er sollte nicht merken, wie es ihr ging, sie trank Tee, las Zeitung und war auf die Artikel der Kollegen neidisch und fühlte das Baby im Bauch strampeln. Dann ging es besser. Lise, reiß dich am Riemen! Du wirst Mama! Du wirst dafür sorgen, daß alles klappt! Dann machte sie mit ihrem Nestbau weiter: Kleider aufräumen, saubermachen, die gewaschenen, duftenden Babysachen von Familie und Freunden ordnen, sie sorgfältig zusammenlegen und einen Blick auf die Wiege werfen, die artig neben ihrem Bett stand. Sie würden schon eine prima Familie werden. Und sie liebte ihn ja so. Und er tat ihr gut und behandelte sie gut. Natürlich brach sie in Tränen aus, als Per am späten Vormittag anrief und ohne weitere Erklärung mitteilte, daß er am Flughafen stehe und auf dem Weg nach Warschau und womöglich ein paar anderen Hauptstädten sei. Es würde höchstens ein paar Tage dauern, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Nicht so sehr, daß er weg mußte, machte ihr etwas aus. Sondern eher, daß er es einfach tat. Daß er wie selbstverständlich seinen Paß mit auf die Arbeit genommen hatte, weil er damit rechnete, vielleicht ins Ausland reisen zu müssen. Daß er es nicht für wichtig erachtet hatte, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Sie wurde wütend und sauer. Verdammt noch mal, was hatte er denn in Mitteleuropa zu suchen? Verschwendete er denn überhaupt noch einen Gedanken an sie?
Toftlund saß in der SAS-Maschine nach Warschau und dachte über den Fall nach. Bislang hatten sie ihren Willen bekommen. Sie hatten Irma am Flughafen Kopenhagen-Kastrup festgenommen und beim Amtsgericht vier Wochen Einzelhaft durchgesetzt, was vom Landgericht in Kopenhagen bestätigt worden war. Sie hatten zusätzliche Durchsuchungs- und Abhörbefehle bekommen, und sie besaßen das Material aus den alten Stasi-Archiven, mit dem sie die Beschuldigte konfrontiert hatten; selbstverständlich hatte sie alles abgestritten. Edelweiß? Nie gehört. Spionage für irgend jemanden? Keine Rede davon. Alles total lächerlich. Wer hat eigentlich Bock, sich noch zehn Jahre nach dem Mauerfall mit irgendwelchen Aussagen oder Handlungen in den siebziger oder ihretwegen auch achtziger Jahren zu beschäftigen? Vielleicht war das für Historiker interessant, aber doch nicht für die Polizei. Hatte die denn wirklich nichts anderes zu tun, als die Gespenster der Vergangenheit zu jagen? In einem kalten Krieg herumzustochern, der längst vorbei war? Herrgott, der Kapitalismus hatte doch gesiegt. Von einem Spionagefall im Baltikum Kenntnis zu haben bestritt sie voll und ganz. Sie wußte nicht mehr als das, was sie seinerzeit in der Presse darüber gelesen hatte. Irmas Anwalt ging es ganz ähnlich. Die Sache habe weder Hand noch Fuß, meinte er. Der Richter stand zwar auf seiten der Anklagebehörden, hatte aber gleichzeitig durchblicken lassen, daß sie einige konkretere Beweise finden müßten, wenn sie die Einzelhaft verlängert bekommen wollten.
Es war eine höllische Arbeit, obwohl Vuldom ihm noch zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt hatte. Sie waren dabei, Irmas Leben von hinten aufzurollen. Sie konzentrierten sich auf das, was bei jeder Nachforschung der Schlüssel ist: die Verbindung. Scheinbare Zufälligkeiten mußten zu einem Ganzen zusammengeschweißt werden, mit dem sie die Beschuldigte konfrontieren konnten. Natürlich hatten sie auch Glück nötig. Aber ohne das sorgfältige Durchgehen des Materials würden sie das Glück, wenn sie darauf stießen, gar nicht bemerken.
Als die Maschine in der Luft und das »Fasten seatbelts«-Schild erloschen war, holte Toftlund ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche. Er setzte die Kopfhörer auf. Der Sitz neben ihm war leer. In der Busineßklasse saßen nur wenige
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