Die guten Schwestern
Bettler mit erloschenen Augen und ausgestreckten Händen. Zwei junge Frauen, jede in ihr Handy sprechend, hasteten über den Bürgersteig. Der Fahrer bog in eine kleinere Seitenstraße und fuhr auf einen Hof. Dort parkten einige andere Mercedes. Der Hof war gepflegt. Toftlund bemerkte den uniformierten Wachposten am Tor, aber kein Schild gab darüber Auskunft, daß hier zumindest ein Teil des Sicherheitsdienstes des demokratischen Polen residierte.
Ohne ein Wort stieg der Fahrer aus und hielt Toftlund die Tür auf. Er reichte ihm seine kleine Reisetasche und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Es gab zwei Türen. Die Treppe war breit und frisch lackiert. Drinnen saß eine Dame vor einer Reihe von Telefonen und einem Computer. Toftlund bemerkte auch den Bildschirm, der abwechselnd die verschiedenen von Kameras überwachten Eingänge des Gebäudes zeigte. Der Fahrer nickte der Dame zu, die keine Reaktion zeigte. Sie war etwa Mitte Dreißig, kräftige Figur, große, geschminkte Lippen, schweres Parfüm. Es hatte sich nicht geändert. Daß viele Frauen sich dick einbalsamierten. Als zeigte die Rougeschicht an, daß man eine Frau war. Sie nahmen den Aufzug in die oberste, achte Etage und betraten einen Gang, von dem eine ganze Reihe Türen abgingen. Der Fahrer klopfte gleich an die erste, und sie traten in einen Empfangsraum, wo zwei junge Sekretärinnen an ihren Rechnern saßen. Ihre Kleidung war von sportlicher Eleganz. Als säßen sie am Empfang einer Werbeagentur irgendwo auf der Welt.
»Toftlund«, sagte der Fahrer und fuhr auf polnisch fort. Die eine Sekretärin stand auf, ging zu einer großen Tür und klopfte an. Man vernahm eine Stimme, die junge Dame machte Toftlund ein Zeichen, der kurz in die Knie ging, um seine Reisetasche, die er auf den Boden gestellt hatte, aufzunehmen.
»Sie können Ihre Tasche hier stehenlassen«, sagte die andere Sekretärin in gutem Englisch.
»Herr Gelbert ist bereit, Sie zu empfangen.« Sie nahm seinen Mantel, den er über dem Arm trug und hängte ihn auf einen Bügel an der Garderobe in der Ecke. Der Fahrer nickte Toftlund zu und sagte wieder etwas auf polnisch, bevor er aus dem Vorzimmer glitt.
Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann mit großem Lächeln und festem Händedruck erschien. Toftlund war überrascht. Er hatte einen älteren Mann mit grauem, schlecht verarbeitetem Anzug und langweiliger Krawatte erwartet. Aber der Mann war in seinem Alter. Er hatte schwarzes, lockiges Haar, schmale Lippen und ein blasses, fast weibliches Gesicht. Er trug ein beiges offenstehendes Hemd und eine blaue Designerjeans, die er in seine spitzen Cowboystiefel gesteckt hatte.
»Oberst Konstantin Gelbert, zu Ihren Diensten. Es ist mir eine Freude, einen Kollegen aus Kopenhagen kennenzulernen«, sagte er in akzentfreiem Amerikanisch. »Ich war erst im letzten Monat in Kopenhagen. Ich hoffe, Mrs. Vuldom geht es gut. Sie ist eine hervorragende Frau, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Kommen Sie doch herein!«
»Danke«, sagte Toftlund und reichte ihm die Hand. Er fühlte sich falsch angezogen mit seiner grauen Hose, der melierten Jacke und dem kleingesprenkelten Schlips. Gelbert sah absolut nicht aus wie ein Oberst der Geheimpolizei. Eher wie ein Assistenzprofessor oder vielleicht wie einer unserer heutigen Computermagier, die ihre erste Million verdient hatten, bevor sie 25 geworden waren.
Das Büro war groß und hell und wurde von einem blanken Schreibtisch aus Stahl und Glas beherrscht. Man sah den üblichen Rechner und vier moderne Telefone. An der einen Wand stand ein niedriger Tisch mit einem Sofa und drei Lehnstühlen. Ihre hohen, steifen Rückenlehnen signalisierten, daß sie nicht zum Entspannen, sondern für Arbeitssitzungen gedacht waren. An den weiß gestrichenen Wänden hingen drei Asger-Jorn-Reproduktionen. Die großen Fenster gingen auf eine befahrene Straße hinaus, aber die Scheiben waren so dick, daß man nicht einmal die schweren Regentropfen, die jetzt dagegenschlugen, hören konnte.
»Ich bin ein großer Fan skandinavischen Designs«, sagte Oberst Gelbert. »Ich bin ein großer Fan dänischer Kunst. Deshalb Jorn. Ich mag Ihre demokratische Ordnung und Ihre Nüchternheit. Daß Sie sich wie bei einem Stammestreffen an einen Tisch setzen und einen Kompromiß finden. Kompromisse sind wichtig, damit die Demokratie gedeihen kann. Die Kommunisten verabscheuten die Kunst des Kompromisses. Sie verstanden nur Kommandos.«
Toftlund schaute auf die Straße
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