Die guten Schwestern
Hintergrund sieht man Haufen, die aufgeworfener Erde ähneln. Der Mann auf dem Bild war Arkan, der Chef der berüchtigten Miliz. Hinter ihm standen einige andere Personen in Uniform, deren Gesichtszüge er nicht erkennen konnte.
»Arkan?« sagte Toftlund.
»Höchstselbst. Der Ort ist Srebrenica. Dazu brauche ich wohl nichts weiter zu sagen. Ein Ortsname, der Blut und Bosheit verkörpert. An dem eines der größten Massaker auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg verübt wurde.«
»Srebrenica«, sagte Toftlund, als schmeckte er das Wort auf der Zunge, ein bitterer Geschmack, wie wenn Magensäure plötzlich durch den Hals nach oben steigt. Er kannte die Bilder der vielen Leichen, die später ausgegraben worden waren. Aber konnte er mit ihnen fühlen? Konnte er die Schüsse und die Schreie hören? Oder war es für einen Dänen unmöglich, den plötzlichen Ausbruch von soviel Bosheit zu verstehen?
Gelbert ließ ihm einen Moment Zeit, ehe er ihm noch ein Foto gab.
»Einer meiner jungen Mitarbeiter, den ich mir offen gestanden von Microsoft hier in Polen geholt habe, wurde neugierig und spielte mit dem Bild in seinem Rechner, und dann kam das hier dabei raus.«
Toftlund schaute sich das Foto an, das Gelbert ihm gereicht hatte. Es war eine Vergrößerung der Personen im Hintergrund des Arkan-Fotos. Sie zeigte eine Frau. Dieselbe, die auf dem Straßenbild zu erkennen war. Zwar hatte sie ein Barrett auf, doch die schönen Lippen und die gerade Nase verrieten sie. Sowie die geraden Schultern und die runden Brüste in dem Tarnanzug.
Toftlund schaute Gelbert an. Der nickte.
»Ja, Herr Toftlund. Ihr klebt Blut an den Händen, unserer kleinen Freundin. Also passen Sie auf Ihren Rücken auf, wenn Sie in ihre Nähe kommen. Ich weiß ja nicht, was Sie von ihr wollen. Ist auch nicht meine Sache. Aber ich glaube, die in Den Haag würden gerne mit ihr sprechen, nachdem sie Ihnen bei Ihrer Untersuchung behilflich gewesen ist.«
»Was will sie bloß von einem dänischen Akademischen Rat? Warum erfindet sie eine Geschichte, sie sei seine Schwester?«
Gelbert zuckte die Schultern.
»Was weiß ich. Aber Sie und ich wissen ja gut, daß es sich in unserer Branche in der Regel um Informationen und ihren Verkauf handelt. Die große Frage ist also, was sie verkaufen will und was es kostet.«
»Und warum sie es verkaufen will.«
»Das auch, Herr Toftlund. Das auch.«
10
P er Toftlund verbrachte den Nachmittag mit zwei von Gelberts Mitarbeitern. Zwei jüngeren Männern, die beide recht gut Englisch sprachen. Gelbert besorgte ihnen ein freies Arbeitszimmer. Es war spartanisch eingerichtet: Schreibtisch, Telefon und ein Konferenztisch, auf dem Kaffee und Wasser standen. Gelbert hatte höflich gefragt, ob sie abends zusammen essen gehen wollten. Toftlund hatte dankend angenommen. Auf dem Tisch lag die gesamte Akte Maria Bujić. Sie war umfangreich und schien perfekt geordnet zu sein, aber schließlich hatten die Polen ihr Handwerk ja auch vom KGB gelernt. Seinerzeit. Bevor die früheren Verbündeten Gegner geworden waren. Und nun waren die früheren Gegner seine Verbündeten. Das war ja eine historische Tatsache, aber Toftlund fand es immer noch sonderbar. Vor noch nicht allzu vielen Jahren hatte Dänemark seine Agenten nach Polen geschickt, und eine von Toftlunds ersten Aufgaben als frischgebackener, unerfahrener PND-Mann hieß: Finden Sie heraus, mit welchen Dänen sich ein bestimmter polnischer Diplomat außerhalb der normalen Arbeitszeiten trifft. Nun hatte man den Eindruck, als wollten die Polen beweisen, daß sie Freunde und effektive Partner waren, die alles in ihrer Macht Stehende taten, um einem verbündeten Geheimdienst unter die Arme zu greifen.
Die Polen hatten die Frau jahrelang observiert, aber natürlich nicht festgenommen. Sie waren mehr daran interessiert, mit wem sie sich traf, als sie eventuell auszuweisen. Die Frau, die Toftlund und die beiden polnischen Kollegen der Einfachheit halber Maria nannten, war seit 1995, als sie sie zum ersten Mal ausgemacht hatten, mehrmals im Jahr in Polen gewesen. Es war sozusagen ein Nebeneffekt der Überwachung des russischen Kulturattaches, den die polnische Spionageabwehr in Verdacht hatte, in Wirklichkeit für die große Abteilung des russischen Nachrichtendienstes zu arbeiten, der in der abgeschirmten Etage der russischen Botschaft in Warschau residierte. Sie trafen sich vor der ewigen Flamme auf dem Siegesplatz gegenüber dem Hotel Victoria und einmal auch in der
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