Die guten Schwestern
aber verständlich, und er erstattete einen nüchternen Bericht, den Toftlund sorgfältig in sein Notizbuch niederschrieb. Er hätte wahrscheinlich ebensogut in der Polizeistation von Middelfart sitzen und einem dänischen Kollegen zuhören können. Anscheinend arbeiteten Kriminalbeamte überall in Europa mehr oder weniger ähnlich. Zumindest gebrauchten sie die gleiche trockene, leidenschaftslose Sprache. Sie kannten alle Torheiten des Menschen. Nur wenige Seiten der menschlichen Natur waren ihnen fremd. Ihre Aufgabe war von Fall zu Fall die gleiche: genug Beweise zu finden, damit der Fall vor Gericht gebracht werden konnte und so weiter bis zum nächsten Fall. Denn es gab immer einen neuen Fall, der auf sie wartete.
Der dänische Staatsbürger Niels Lassen wurde am Morgen aufgefunden, nachdem seine Tochter sich gewundert hatte, warum er nicht zum Frühstück herunterkam und nicht antwortete, als sie ihn auf seinem Zimmer anrief. Er wurde mit einem stumpfen Gegenstand durch mehrere Schläge auf den Hinterkopf getötet. Der erste Schlag war sofort tödlich. Krozsel reichte Toftlund mit ausdruckslosem Gesicht die Aufnahmen des Polizeifotografen. Lassens Nacken war eine verfilzte Masse aus Blut und Haaren. Die Leiche lag in Embryostellung vor dem Fenster. Die Augen waren weit aufgerissen. Er hatte nur eine Unterhose an. Neben ihm lag der weiße Bademantel, der in diesem Hotel zum Service gehört. Andere Bilder zeigten das Zimmer, ein ganz normales Hotelzimmer guter Qualität, mit Bett, Fernseher, Tisch, zwei Stühlen. Es war durchwühlt worden. Es war von Kleidungsstücken, Zeitungen und Büchern übersät. Die Stühle waren umgestürzt. Decke und Laken waren weggerissen und die Matratze aufgeschlitzt. Zwei Koffer waren geleert und ebenfalls aufgeschnitten worden.
Toftlund gab die Bilder zurück.
»Wie ist der Täter oder sind die Täter hereingekommen?« fragte er.
»Es gibt keinerlei Zeichen dafür, daß die Tür aufgebrochen wurde«, sagte Krozsel. »Leider sagt das nicht sehr viel. Hotelgäste sind nicht so vorsichtig, wie sie sein sollten. Wird geklopft, machen die meisten auf. Außerdem ist an den – wie sagt man – Generalschlüssel leicht heranzukommen. Sie wissen, die Reinigungskräfte, der Zimmerservice… Darf ich fortfahren?«
Toftlund nickte, und Krozsel fuhr fort. Toftlund merkte, daß er Lust hatte zu rauchen, aber der Oberst schien Nichtraucher zu sein, also würde er es wohl nicht gestatten. Das sollte Toftlund nur recht sein.
Die ungarische Kripo hatte Personal und Gäste verhört, besonders die dänischen. Niels Lassens Tagesablauf war leicht zu rekonstruieren. Er war mit der dänischen Delegation in der Oper gewesen. Sie waren gegen 23 Uhr ins Hotel zurückgekehrt und hatten noch einen Drink in der Bar zu sich genommen. Lassen war gegen Mitternacht zu Bett gegangen. So wie die meisten dänischen Gäste, nur wenige sind noch eine Stunde länger in der Bar geblieben, darunter Lassens Tochter. Auf dem Weg in ihr Zimmer war sie an der Tür ihres Vaters vorbeigekommen, hatte aber nichts bemerkt. Anfangs hatte sich die Ermittlung etwas schwierig gestaltet, da Lassens Zimmer auf den Namen Theodor Nikolaj Pedersen registriert war, dänischer Staatsbürger, und die Tochter war natürlich auch ein bißchen hysterisch gewesen. Der Delegationsleiter Brandt hatte das Mißverständnis aufgeklärt. Das Hotel hatte wegen der mangelnden Ordnung in seinem Gästeverzeichnis einen Verweis erhalten. Der Gerichtsmediziner schätzte den Zeitpunkt des Todes auf etwa vier Uhr morgens. Die Stunde, in der das Hotel am stillsten war. Nichts deutete darauf hin, daß er Widerstand geleistet hatte. Keine Hautreste oder anderes unter den Fingernägeln. Man vermutete, daß er die Tür geöffnet hatte, zwei Schritte zurückgetreten oder gestoßen worden war und einen heftigen Schlag in den Nacken erhalten hatte. Fingerabdrücke wurden keine gefunden – bis auf die des Verstorbenen und eine Reihe anderer, die den Reinigungskräften zugeordnet werden konnten. Die Tochter des Verstorbenen hatte festgestellt, daß Reiseschecks, Visakarte, Bargeld, ein CD-Spieler, ein Mobiltelefon sowie ein tragbarer Computer der Marke Compaq Presario fehlten. Die Polizei schloß daraus, daß es sich um einen Raubmord handeln mußte. Einen Verdächtigen gab es nicht. Verhöre in einschlägigen Kreisen hatten nichts Neues gebracht.
Krozsel blickte auf und klappte den Ordner zu, der ein vertanes Leben enthielt, dachte Toftlund, aber er sagte:
Weitere Kostenlose Bücher