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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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begann, in seiner großen, eckigen Handschrift auf der Grundlage seiner sorgfältigen Notizen seinen Bericht abzufassen, damit er später in Dänemark geradewegs in den Computer getippt und zu den Akten gelegt und nicht zuletzt Vuldom überreicht werden konnte. Es gab einen Frühflug nach Budapest und, wenn der Tag verlief wie geplant, einen Abendflug nach Preßburg, so daß er seinen dortigen Termin am Vormittag wahrnehmen konnte, ehe er nach Prag weiterflog.
    Toftlund schrieb einfach drauflos, sachlich und verständlich. Jette Vuldom schätzte klare Prosa. Aber sie wollte auch gern ein Gefühl oder eine Stimmung vermittelt bekommen, einen Gesichtszug oder eine Empfindung. In einem rohen Untersuchungsbericht konnte das durchaus einen Sinn ergeben, und es konnte immer noch gestrichen werden, wenn die Akte für Historiker und andere archiviert werden sollte, die vielleicht in fünfundsiebzig Jahren die Erlaubnis erhielten, in den mit »geheim« bestempelten Papieren zu stöbern. Aber man sollte nicht weiter gehen, als man es selbst plausibel fand. Es gab keinen Grund, alles zu sagen. Wie sie selbst in ihren Kursen immer sagte: Das Ungesagte in einem Bericht kann sowohl verwirren als auch Aufklärung bringen. Und in diesem Paradox liegt oft die Wahrheit über einen Menschen oder ein Ereignis verborgen.

11
     
    A ls Per Toftlund am frühen Morgen durch den Park neben seinem Hotel in Warschau joggte, regnete es wieder, aber als sein Flugzeug planmäßig in Budapest landete, schien die Sonne in der ungarischen Hauptstadt von einem fast klaren Himmel. Wieder wurde er am Flughafen abgeholt und in die Stadt gebracht. Sie wirkte wohlhabender als Warschau, vielleicht wegen der vielen schönen, alten Gebäude. Die Vorstädte auf dem Weg vom Flughafen glichen all den anderen, welche die kommunistischen Architekten und Bauherren auf dem Gewissen hatten: lange Reihen gleichförmiger, langweiliger Betonhochhäuser wie Soldaten in Reih und Glied, Symbol der unumschränkten Macht der Partei und des andauernden Versuchs, den Menschen klein zu machen, dachte er auf seiner schnellen Fahrt ins Zentrum. Im übrigen hatte Toftlund keine besondere Beziehung zu Budapest oder Ungarn im allgemeinen. Er war noch nie dort gewesen, und obwohl Ungarn als Mitglied des Warschauer Paktes Feindesland war, hatte es nicht zu Dänemarks Aufgabenbereich gehört. Mit Polen war es anders gewesen. Polen hatte den Auftrag, im Kriegsfall auf Seeland zu landen. Polen war ein Nachbar. Aus Polen kamen die Agenten, die in Dänemark eine Fünfte Kolonne anwarben und in den Wäldern militärische Ausrüstung und Kommunikationsgerät vergruben, um für den Tag der geplanten Invasion vorbereitet zu sein. Er wußte noch, wie es ihm kalt den Rücken hinuntergelaufen war, als er nach dem Ende des Kommunismus die Einmarschpläne zum ersten Mal in allen Einzelheiten zu Gesicht bekam, Pläne, denen zufolge polnische und ostdeutsche Spezialeinheiten per U-Boot oder Fallschirm landen sollten, deren erste und wesentliche Aufgabe darin bestand, hochstehende Offiziere und Regierungsmitglieder zu liquidieren, damit das Land paralysiert wurde. Im Falle eines Fehlschlags war der Gebrauch taktischer Atomwaffen vorgesehen. Vielleicht mußte er an diese Pläne denken, weil er an Gelberts Worte über die Geschichte und die dänische Naivität dachte. Daß die Dänen irgendwie immer damit rechneten, so wie in den beiden Weltkriegen auch sonst billig davonzukommen. Und daß andere die Rechnung bezahlen würden. Wieder einmal war es gutgegangen. Dabei hätte es so grauenhaft schiefgehen können.
    Das Treffen fand in einem modernen Bürohaus mit Blick auf die Donau und das imposante Parlamentsgebäude statt. Zwei bewaffnete Wachen standen vor dem Eingang, an dem er abgesetzt und an einem weiteren Wachposten vorbei in ein leeres Büro in der zehnten Etage geführt wurde. Unten vor den kleinen Fenstern trieb die graue Brühe des Stromes dahin. Langsam glitt ein Prahm mit russischer Flagge vorüber. Vor dem kleinen Steuerhaus hängte eine Frau Wäsche auf. Dem russischen Prahm kam ein Lastkahn unter rumänischer Flagge entgegen, die am Achtersteven flatterte. Eine Sekretärin mittleren Alters mit hochgestecktem, gebleichtem Haar und umgeben von einem schweren Jasminduft bot ihm Kaffee und Mineralwasser an. Sie sprach deutsch und bat ihn um Nachsicht, daß er leider warten müsse, aber der Herr Direktor sei auf einer Sitzung, die sich in die Länge ziehe. »Der Krieg, wissen Sie, mein Herr.«

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