Die guten Schwestern
gehen, Selbstmord begangen haben.« Er räusperte sich, hustete diskret. »Wir haben den Verdacht, daß der gerichtsmedizinische Bericht gefälscht wurde. Unsere öffentlichen Angestellten werden ja nicht gerade fürstlich entlohnt. Deshalb braucht die Versuchung gar nicht so groß zu sein, leider. Das gehört zu unserer postkommunistischen Realität. Obwohl wir in Ungarn bedauerlicherweise eine der höchsten Selbstmordraten der Welt haben, scheint das doch eine zu große Koinzidenz von Zufällen zu sein, nicht wahr?«
»Ich sehe jedoch keine Verbindung zu dem dänischen Staatsbürger Niels Lassen. Sie?«
»Nicht direkt, nein. Aber indirekt. Weil man wegen des Ölschwindels und der vielen Gelder, die in Umlauf gebracht wurden, leider sagen muß, daß die Kriminalität in all ihren Schattierungen Auftrieb bekommen hat, Herr Toftlund.«
»Verstehe.«
»Das freut mich. Dann hoffe ich auch, daß Sie verstehen, daß wir Ihnen nicht direkt helfen können. Aber wir wären Ihnen und Dänemark äußerst dankbar, wenn es Ihnen gelingen würde, die von Ihnen so genannte Maria Bujić zu fassen. Ich habe mich gründlich mit ihr zu unterhalten.«
Anscheinend hatten alle eine Menge mit dieser Dame zu besprechen, dachte Toftlund später. Er saß im Flughafen und wartete auf seinen Flug nach Preßburg. Er aß eine Forelle und trank Wasser dazu. Das Wasser schmeckte gut. Er ging seine Notizen durch, konnte aber nirgendwo eine rechte Verbindung entdecken, und doch wollte ihn das Gefühl, daß sie wichtig war, nicht verlassen. Jedenfalls verstand er den ungarischen Oberst nur zu gut. Auch Toftlund hatte einiges mit der mystischen Dame mit den vielen Gesichtern zu besprechen. Er steckte seinen Block wieder in die Tasche und bestellte Kaffee, ehe er zum ersten Mal während dieser Reise sein Handy aufklappte.
Toftlund vertraute Mobiltelefonen nicht. Er benutzte sie gern für eine kurze Kommunikation bei Einsätzen in Dänemark. Da zog er das Handy den Walkie-Talkies vor, die jeder Journalist oder Amateurdetektiv abhören konnte, aber bei vertraulichen Unterredungen waren ihm Handys nicht sicher genug. Sie wurden von den Sicherheitsdiensten auf der ganzen Welt abgehört, die die verschiedenen Frequenzen durchforsteten. Computer waren darauf programmiert, auf besondere Kodewörter zu reagieren. Manche nannten dieses System Echelon. Toftlund war es eigentlich egal, wie man es nannte. Er rechnete damit, daß das System in Funktion war. Wenn er die nötigen Mittel hätte, würde er es selbst auch benutzen.
Das Handy piepte hitzig. Auf seiner Mailbox waren mehrere Mitteilungen. Zwei waren von Lise. Die erste war freundlich und liebevoll. Hoffe, dir geht es gut. Die zweite war kühler. Ob er vielleicht mal Zeit finde, zu Hause anzuklingeln. Toftlund zögerte. Es war eine ungewohnte Situation für ihn. Noch nie hatte er einen Grund gehabt, während eines Auftrags zu Hause anzurufen. Bei der Paßpolizei ohnehin nicht, da hätte man die Uhr nach seinem Schichtdienst stellen können. Früher im PND war er noch nicht verheiratet gewesen. Toftlund war kein großer Analytiker seines Innenlebens. Er hatte die Fähigkeit, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren, aber nicht in sich selbst hineinzuschauen. Aus seiner Zeit bei den Kampftauchern wußte er noch: Wenn man den harten Anforderungen und den unmöglichen Aufgaben, denen man sich erst im Training und dann bei den Übungen gegenübersah, gewachsen sein wollte, dann war es lebensnotwendig, sich auf seinen Auftrag zu konzentrieren und alles andere zu verdrängen. Wenn man fremden Gedanken oder persönlichen Dingen erlaubte, der Lösung der gestellten Aufgabe in die Quere zu kommen, mußte man über kurz oder lang die Segel streichen. Sowohl von seiner Natur her als auch durch das Training hatte es sich als für sein Gleichgewicht am günstigsten erwiesen, sein Bewußtsein in Fächer aufzuteilen. Immer ein Problem nach dem anderen anzugehen. Deshalb war dieser Anflug schlechten Gewissens eine Überraschung für ihn. Oder war es sogar mehr als nur ein Anflug? Vielleicht hätte er anrufen sollen. Aber das hatte doch keinen Sinn. Er machte seinen Job. Lise hörte nichts, weil er beschäftigt war und weil alles nach Plan verlief. Keine Nachricht ist eine gute Nachricht.
Er trank seinen Kaffee und sah auf sein kleines Telefon. Segen und Fluch zugleich. Dann sah er auf seine Uhr und wählte die Nummer zu Hause. Er wartete, bis er den AB hörte, dann unterbrach er die Verbindung. Er wartete ein wenig.
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