Die guten Schwestern
Dienst zusammenzuarbeiten, aber erst kürzlich wurde mir noch eine andere Rolle zugeteilt, die nicht unbedingt transnational ist, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Überhaupt nicht.«
»Nein. Es ist auch kompliziert. Schauen Sie sich bitte dieses Bild an.«
Er reichte Toftlund ein Farbfoto, das er fast wie ein Taschenspieler aus der dünnen Mappe zog. Das Bild zeigte eine Frau. Es war ohne Zweifel Maria Bujić, aber sie sah völlig anders aus. Sie hatte helles Haar, die Locken fielen ihr bis auf den Kragen, und sie trug eine unauffällige Brille. Sie war an einem Auto stehend aufgenommen worden, sie schaute mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Kamera, als spürte sie, daß sie observiert wurde. Sie trug eine blaue Jeans und eine kurze, teure Lederjacke.
»Das ist die Frau, die wir Maria nennen«, sagte Toftlund.
»Ja und nein.«
»Jetzt kapiere ich gar nichts mehr.«
Karancsi räusperte sich und drückte affektiert seine Fingerspitzen gegeneinander, bevor er in seinem langsamen Deutsch fortfuhr:
»Wir kennen sie als Swetlana Kreisler, russische Staatsbürgerin, aber deutscher Abstammung. Sie wissen, noch aus der Zeit Katharinas der Großen. Wolgadeutsche. Damit ist sie auch automatisch deutsche Staatsbürgerin. Und sie reist auch mit deutschem Paß. Soweit wir wissen, ist sie während der letzten vier, fünf Jahre hergekommen. Wir haben nicht den Eindruck, daß sie zum Nachrichtendienst eines anderen Landes in Verbindung steht, dafür aber zur russischen und ungarischen Mafia. Und hier kommt nun meine andere Rolle ins Spiel.«
Wieder machte er eine Kunstpause. Toftlund wartete. Manchmal war es in einem Verhör oder einer verhörähnlichen Situation günstiger, den Mund zu halten. Die Pause so lang werden zu lassen, daß sich der Gegenüber fast gezwungen fühlte zu sprechen. Toftlund schaute aus dem Fenster. Ruhig und breit floß der Strom vor dem Fenster vorbei, darauf der ununterbrochene Zug von Lastkähnen und mittendrin ein einzelnes Boot mit Touristen. Karancsi räusperte sich wieder.
»Ich bin zum Chef einer neuen Abteilung ernannt worden. Sie entspricht in etwa dem, was die Amerikaner Internal Affairs nennen. Innere Angelegenheiten. Sie wurde von Regierung und Parlament eingerichtet, um Korruptionsfälle innerhalb der staatlichen Polizei zu untersuchen. Deshalb möchte ich Sie bitten, alles folgende als vertraulich anzusehen. Als private Auskünfte eines Vertreters einer freundlich gesinnten Nation. Sind Sie damit einverstanden?«
»Selbstverständlich.«
»Gut. Swetlana scheint das Verbindungsglied in einer Affäre zu sein, die wir hier als den Ölschwindel bezeichnen. Vielleicht war sie sogar der Kopf des Ganzen. Die Idee ist so einfach, daß sie fast banal ist. Wir haben hohe Importsteuern auf Dieselöl und niedrige auf Heizöl. Das ist ja ganz üblich in der freien Welt. Man kauft Dieselöl im Ausland, färbt es rot, so daß es den Zoll als Heizöl passieren kann, und verkauft es im eigenen Land wieder als Dieselöl. Millionen von Dollar an gesparten Steuern und viele Millionen Profit. Der Traum eines jeden Betrügers. Jetzt, fünf Jahre später, haben wir immer noch keinen Überblick darüber, wieviel Geld der Staatskasse entgangen ist.«
»Aber was hat das mit der Abteilung Innere Angelegenheiten zu tun?«
»Man könnte es so ausdrücken: Die große Geldsumme brachte einen – wie sagt man – Qualitätsschub in der Organisierten Kriminalität mit sich. Das Geld ermöglichte unseren ziemlich primitiven Banden, sich zu organisieren und zu expandieren. In den bekannten, klassischen Gattungen: Prostitution, Drogen, gestohlene Autos und Geldwäscherei. Darüber hinaus eine Infiltration des regulären Wirtschaftslebens. Wir vermuten – wir können es ja nicht wissen –, daß der Betrug den ungarischen Staat 400 Millionen Dollar gekostet hat. Das sind 400 Millionen Dollar in die Tasche eines Unternehmens, das man Mafia nennen kann.«
»Und dieser Betrug konnte nur durchgeführt werden, weil Polizei und Zoll die Augen zugedrückt haben?«
»Exakt. Es ist meine Aufgabe, den Umfang der Bestechungen zu untersuchen. Und wenn ich damit bis zu den höchsten Stellen vordringen muß. Es geht nicht nur darum, ob ein Offizier oder ein gewöhnlicher Polizeibeamter Bestechungsgelder angenommen hat. Es geht auch darum zu untersuchen, ob es, wie behauptet wird, seine Richtigkeit haben kann, daß sechs von zehn pflichtbewußten Kriminalern, die seit Jahren versuchten, der Sache auf den Grund zu
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