Die Haarteppichknüpfer - Roman
verlor sich in der felsigen, unfruchtbaren Einöde. Früher war er noch ab und zu hinausgezogen, um gewisse Mineralien zu suchen, die für die geheimen Rezepturen erforderlich waren. Einige Male war er auch in der Stadt gewesen, um Chemikalien oder Werkzeuge zu kaufen. Aber inzwischen hatte er alles beisammen, was er noch brauchen würde für seinen Teppich. Er würde wohl nicht mehr hinausgehen. Er war auch nicht mehr jung; sein Teppich würde bald fertig sein, und dann war es Zeit, ans Sterben zu denken.
Später, am Nachmittag, unterbrachen schnelle Schritte auf der Treppe seine Arbeit. Es war Abron.
»Du wolltest mich sprechen, Vater?«
»Du warst in der Stadt?«
»Ich habe Rußsteine gekauft für die Heizung.«
»Wir haben noch Rußsteine im Keller, genug für Generationen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Du hättest mich ja fragen können. Aber dir ist jeder Vorwand recht, um in die Stadt gehen zu können.«
Abron kam näher, unaufgefordert. »Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, dass ich so oft in der Stadt bin und Bücher lese. Aber ich kann nicht anders, Vater, es ist so interessant … diese anderen Welten … es gibt so viel zu lernen – so viele Arten, wie Menschen leben …«
»Ich will davon nichts hören. Für dich gibt es nur eine Art zu leben. Du hast von mir alles gelernt, was ein Haarteppichknüpfer wissen muss, das ist genug. Du kannst alle Knoten knüpfen, du bist eingeweiht in die Imprägnierungen und in die Färbetechniken, und du kennst die überlieferten Muster. Wenn du deinen Teppich entworfen hast, wirst du dir eine Frau nehmen, und ihr werdet viele Töchter haben mit verschiedenfarbigen Haaren. Und zur Hochzeit werde ich meinen Teppich vom Knüpfrahmen schneiden, umsäumen und dir schenken, und du wirst ihn in der Stadt an die kaiserlichen Händler verkaufen. So habe ich es mit dem Teppich meines Vaters getan, und so hat er es zuvor mit dem Teppich seines Vaters getan, und dieser davor mit dem Teppich seines Vaters, meines Urgroßvaters; so geht es von Generation zu Generation, seit tausenden von Jahren. Und so wie ich meine Schuld an dir abbezahle, so wirst du deine Schuld an deinem Sohn abbezahlen, und dieser wiederum an seinem Sohn und so fort. So war es schon immer, und so wird es immer sein.«
Abron seufzte gequält. »Ja, sicher, Vater, aber ich bin nicht glücklich bei dieser Vorstellung. Am liebsten möchte ich gar kein Haarteppichknüpfer sein.«
»Ich bin ein Haarteppichknüpfer, und deswegen wirst du ebenfalls ein Haarteppichknüpfer sein!« Ostvan zeigte mit einer erregten Geste auf den unvollendeten Teppich im Knüpfrahmen. »Mein ganzes Leben lang habe ich an diesem Teppich geknüpft, mein ganzes Leben, und von dem Erlös dafür wirst du einmal dein Leben lang zehren. Du hast eine Schuld an mir, Abron, und ich verlange, dass du sie an deinem Sohn wieder abbezahlst. Und gebe Gott, dass er dir nicht so viel Kummer macht wie du mir!«
Abron wagte nicht, seinen Vater anzusehen, als er entgegnete: »Es gibt Gerüchte in der Stadt, von einer Rebellion, und dass der Kaiser abdanken muss … Wer kann denn noch Haarteppiche bezahlen, wenn der Kaiser nicht mehr da ist?«
»Eher verlöschen die Sterne, als dass der Ruhm des Kaisers erlischt!«, dröhnte Ostvan. »Habe ich dir diesen Satz nicht schon beigebracht, als du noch kaum neben mir am Knüpfrahmen sitzen konntest? Glaubst du, irgendwer kann einfach daherkommen und die Ordnung umstoßen, wie Gott sie gefügt hat?«
»Nein, Vater«, murmelte Abron. »Natürlich nicht.«
Ostvan betrachtete ihn. »Geh jetzt und arbeite am Entwurf deines Teppichs.«
»Ja, Vater.«
Am späten Abend setzten bei Garliad die Wehen ein. Die Frauen begleiteten sie in das vorbereitete Gebärzimmer; Ostvan und Abron blieben in der Küche.
Ostvan holte zwei Becher und eine Flasche Wein, und sie tranken schweigend. Gelegentlich hörten sie Garliad im Gebärzimmer schreien oder stöhnen, dann geschah wieder lange Zeit nichts. Es würde eine lange Nacht werden.
Als sein Vater die zweite Flasche Wein holte, fragte Abron: »Was, wenn es ein Junge ist?«
»Das weißt du so gut wie ich«, erwiderte Ostvan dumpf.
»Was wirst du dann tun?«
»Seit ewigen Zeiten gilt das Gesetz, dass ein Teppichknüpfer nur einen Sohn haben darf, weil ein Teppich nur eine Familie ernähren kann.« Ostvan deutete auf ein altes, fleckiges Schwert, das an der Wand hing. »Damit hat dein Großvater meine zwei Brüder am Tag ihrer Geburt getötet.«
Abron schwieg. »Du
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