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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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langsameren Rinnsal geschluckt, unfähig, sich in Sicherheit zu bringen. Wenige nur entkamen, und die prallten auf die Querleiste des Fensterrahmens, auf den Kitt, der grau war, beinahe schwarz, und porös. Was danach geschah, konnte Sara nicht sehen, auch wenn sie ihre Wange an die Scheibe preßte und nach unten schielte. Währenddessen rannen die gefräßigen, breiten Bahnen fingerdick eine neben der anderen in einer Art Wettlauf herab, und weiter fielen die Regentropfen einer nach dem anderen aus dem Himmel auf die Straße, platzten auf, bildeten Pfützen und wurden von den Gullys verschluckt, gurgelnd, endgültig. In manche der dicken Tropfen, die fett auf der Scheibe auftrafen, dann einen Moment, wie verwundert, auf der Stelle verharrten, war etwas eingeschlossen, glänzend und vergrößert, ein winziges Insekt mit durchscheinenden Flügeln oder eine Rußflocke, ein Körnchen Sand oder Staub. Was immer es war schimmerte, schimmerte einen langen Augenblick, bevor es, verwirrt, spindelnd weggerissen wurde oder allmählich davonglitt, vielleicht noch einmal aufgehalten, um sich dem Auge in starrer Durchsichtigkeit darzubieten, etwas Winziges, Davongespültes, das nie mehr an seinen Ort zurückkehren würde.
    Zuweilen trieben auch größere Gegenstände gegen die Scheibe, ein Blatt, verrottet nach einem langen Herbst und Winter, das Gerippe schadhaft, die Fasern dünn, ein Fetzen Papier, irgendein Schnipsel, der noch nicht vom Regen durchtränkt war und dem Wind keinen Widerstand geboten hatte. Und da waren Schlieren, zähflüssig wie Rotz, schwärzlich wie das, was nach einer langen Fahrt mit der tube aus der Nase herauskam. Sie saßen auf der Scheibe wie Käfer, Sara suchte das ganze Fenster nach ihnen ab, starrte dann durch die Scheibe auf die regennasse Straße. Sie wünschte, der Radiowecker würde funktionieren, er stand auf dem Kaminsims, die Zahlen bewegten sich nicht, und Dave hatte versprochen, daß er eine Batterie mitbringen würde, eine Batterie oder sogar eine andere Uhr, nur für sie alleine. An Regentagen war schwer zu sagen, ob noch Vor- oder schon Nachmittag war und wie die Zeit verging. Der Mann mit seinem Handkarren kam im Regen selten, sie dachte, daß er nicht läuten konnte, mit seiner Glocke, die er hochhob und gegen den Himmel schwang, die Tropfen würden den Klöppel zum Schweigen bringen, und ohne Glocke wußte keiner, daß er in der Straße, vor dem Haus stand und wartete, ob jemand ihn hereinbat. Sie dachte, daß er ins Haus gebeten wurde, weil er Glück brachte, weil es ein gutes Zeichen war, wenn er etwas mitnahm, weil zuviel da war und es Sachen gab, die man nicht mehr brauchte. Die Leute im Haus nebenan hatten ihn einmal hereingebeten, und später war sein Karren hoch aufgetürmt beladen, so daß er sehr, sehr langsam die Straßen hinuntergehen und sich dabei gegen das Gewicht in seinem Rücken stemmen mußte. Meistens war aber der Wagen leer, oder es lag etwas darauf, das kaputt war. Sie staunte, als er jetzt durch den Regen näher kam, und er winkte, winkte ins Leere, vielleicht winkte er ihr zu, weil er sie hinter dem Fenster bemerkt hatte, und sie duckte sich, stützte sich mit beiden Händen auf dem Teppich ab, ihr Kopf stieß gegen den Heizkörper. Vorsichtig richtete sie sich wieder auf, ein Auto fuhr vorüber, im Regen waren die Autos lauter, auf der nassen Straße übertönten ihre Räder das Geräusch des Motors, rauschend, zischend, es mußte einen Bogen um den Mann herumfahren. Sie spähte hinaus. Er stand genau vor dem Haus, winkte wieder, mit der freien Hand, die etwas festhielt, nicht die Glocke, sondern etwas anderes. Sara zog sich an der Fensterbank hoch, stellte sich auf die Zehenspitzen. Er bedeutete ihr herauszukommen, ließ den zweiten Griff des Karren auch los und gab ihr Zeichen, zeigte auf das, was er mit der anderen Hand hoch in die Luft streckte, und sie erkannte es. Ihre Finger klammerten sich an der Fensterbank fest, das Holz war rissig, ein Splitter bohrte sich in ihre Haut. Jetzt stand er still da, sie konnte sein Gesicht nicht genau erkennen, es regnete immer noch, er ließ seinen Wagen auf der Straße stehen und kam auf das Trottoir gelaufen, bis an den niedrigen Zaun aus Gußeisen, und sein Gesicht war zu einem Lachen verzogen, er winkte wieder, sein Mund stand offen, für einen Moment fürchtete sie, daß er noch näher kommen würde. Ihre Blicke trafen sich. Sie tastete nach dem Auge, das geschwollen war und weh tat, ihr war wieder schlecht, wie

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