Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Hosentasche stecken, um es zu berühren, Einsamkeit und Verwunderung schnürten ihm den Hals zu. Es waren nicht mehr als zwei Minuten vergangen, als sie sich aufrichtete und provozierend, mit gespieltem Ernst, ihr Urteil fällte. –Du hast recht, wir brauchen ein neues Bett.
Er bat sie zu gehen, da er um fünf Uhr aufstehen müsse, es war kein Grund, sie hatte mit ihren klaren, undurchschaubaren Gesichtszügen gefragt, ob sie trotzdem bleiben könne. Die Hose hatte sie noch immer nicht angezogen, er wagte nicht, sie darum zu bitten; das Höschen war über der Scham durchbrochen, glatt und hell schimmerte die Haut darunter. Es irritierte ihn, daß sie kein Schamhaar hatte.
Jetzt, in der Wartburgstraße, starrte er vor sich hin, auf die quadratischen Platten des Gehwegs, eng verfugt, die eine am rechten Rand gesprungen, aus rötlichem gemahlenen Stein oder Kieseln. Es begann zu regnen.
Am Mehringdamm stieg sie aus, um ein Stück zu laufen, statt in die U7 nach Schöneberg umzusteigen, auf der Straße merkte sie erst, wie spät es schon war, aber die Transporteure würden warten, dachte Isabelle und lief Richtung Westen. Die Bäume am Fuß des Kreuzberges waren noch kahl, das Bett des Wasserfalls trocken. In einem Bogen, sacht ansteigend, lief die Straße auf die Monumentenbrücke zu, überquerte breite Gleisanlagen, sandige Flächen, Bauvorbereitungen, weit hinten die Stadt, ferngerückt und kinderspielzeuggroß der Fernsehturm, auf seinem spitzen Stab die Kugel. Es war diesig, Dämmerung stieg auf, täuschte die Augen, es kam Isabelle vor, als bewegten sich die Dächer, Türme des Potsdamer Platzes zur Seite, um neue, sichere Positionen einzunehmen, die Kräne, Bagger und Betonmischmaschinen wirkten wie Beobachter von einem anderen Planeten. Seit alle sich bedroht fühlten, gefangen und der Willkür unberechenbarer Wärter ausgeliefert, schien ruhige Beobachtung den drohenden Schrecken nur zu verschleiern. Da. Ein Auto beschleunigte, dünner Rauch verlor sich aus dem Auspuff, der Wagen nahm die Anhöhe, rollte über die Brücke, verschwand in dem aufsteigenden Dämmer, nur die Rücklichter leuchteten noch einmal auf, es ähnelte einem Abschiedsgruß.
Erst im letzten Augenblick, bevor sie mit ihm zusammenstieß, bemerkte sie den Mann, der sich von der Brüstung löste und ebenso wie sie über die Gleise, den Sand geschaut hatte, den grauen, der aus dem Boden kam, und den hellgelben, der eigens antransportiert wurde, auf die riesige, zerfledderte Wolke, die sich vor den Abendhimmel schob, und es begann zu nieseln, aus beinahe klarem Himmel. Der Mann heftete seinen Blick auf sie, unerschrocken, während sie etwas stammelte, eine Entschuldigung, eine Begrüßung, ihr war, als wäre sie ihm schon einmal begegnet, sein Gesicht war blaß, und trotz der Kälte trug er unter dem dunkelblauen, nicht sehr sauberen Anorak nur ein T-Shirt, abgetragen, verwaschen, er sah verwahrlost aus, doch sein Blick traf sie mit solcher Schärfe, daß sie stehenblieb. Sie streckte die Hand aus, wollte ihn abwehren, aber er lachte nur, fing diese Hand, die zu leicht, zu kindlich war, im Flug und schob sie beiseite, Isabelle fürchtete, daß er sie schlagen würde, seine blauen, hellen Augen blickten sie unbeirrt an, er schien sich an ihrem Schrecken zu weiden, doch dann duckte er sich plötzlich, bewegte sich geschmeidig rückwärts und tauchte aus ihrem Sichtfeld, sie hörte ihn noch, wartete auf einen Stoß, einen Angriff von hinten, doch nichts geschah, nichts außer Stille, Lautlosigkeit, die anhielt, bis ein Auto sich näherte. Als sie sich umdrehte, war der Mann nicht mehr zu sehen, und während die Anspannung langsam nachließ, fühlte sich Isabelle wie von einem Wachtraum geängstigt, der sich vor vertraute Gegenstände schob, vor ihr Leben, das nicht richtig und fest zusammenhängen wollte, sondern sich hartnäckig in einzelnes auflöste. Der Mann war wie vom Erdboden verschluckt, sie spähte sogar die Brücke hinunter, als könnte er an der Unterseite der Monumentenbrücke hängen. Keine Spur, natürlich nicht, längst war das Auto verschwunden, und die Zeit wurde knapp, hastig lief sie weiter, zur Langenscheidtbrücke, die wie eine Eisenbahnbrücke aus Kinderbüchern die S-Bahn überquerte, passierte schließlich außer Atem die Apostel-Paulus-Kirche und hatte endlich die Wartburgstraße erreicht. Gründerzeithäuser reihten sich so unbeschadet aneinander, als hätte ein Krieg niemals stattgefunden, die Fassaden wirkten ein
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