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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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nein, der Sterndeuter kennt sie«, antwortete sie. »Der junge. Er ist zu mir gekommen, weil er einen Traum gehabt hat, den einzig und allein ich beantworten konnte. Ich bin die Göttin Inana, die Gefährtin des Mondgottes Sin«, rief sie ihm wieder ins Gedächtnis.
    »Ich kenne Ezzi«, sagte er. »Woher kennt er Ulu?«
    »Das weiß ich nicht, aber er muss direkt nach eurer Unterredung mit ihr gesprochen haben, weil er mir schon gestern Abend von ihr erzählt hat.«
    Cheftu hatte seine Zweifel, was diese Freiwillige und ihre Beziehung zu Ezzi anging.
    »Damit wäre das geregelt«, sagte Puabi. »Und jetzt komm und zeig mir, wie froh du bist, dass ich die Ensi bleibe, weil das, wie du weißt, bedeutet, dass du auch in Zukunft En Kidu bleiben kannst«, raunte sie, wobei sie seine Brust küsste. »Es sei denn, du hältst dich weiterhin von meinem Bett fern und erregst weiter meinen Unmut.« Sie piekte ihn mit einem langen Fingernagel in die Brust. »Nimm dich in Acht, Kidu, allmählich wirst du mir zur Last.«
    »Dann lass mich absetzen«, schnauzte er erschöpft und angewidert von ihrer Herzlosigkeit. Einhundert Frauen sollten in den Tod geschickt werden, ohne dass jemand etwas dagegen unternahm? Und das Ganze wurde als eine Art Geburtenkontrolle angesehen?
    Sie klappte den Mund auf, um etwas zu entgegnen, doch ein
    Klopfen an der Tür rettete ihn. Ein Schreiber öffnete, und der Lugal trat wie auf sein Stichwort hin ins Zimmer. »Ich entbiete euch, En und Ensi, die Grüße der Morgendämmerung. Die Liste ist vollständig.«
    Shama erbrach das Siegel zum untersten Gang und stolperte hinein. Hier lagen die Tafeln - geschrieben in dem priesterli-chen Code, der einen ebenbürtigen Verstand und göttliche Ausgeglichenheit erforderte. Weniger verständige Männer und Frauen hatten sie hier abgeladen, weil sie die Tafeln, von ihren Urvätern verfasst, für Unfug hielten.
    Shama lud eine nach der anderen in seine Schubkarre.
    Vielleicht zeigte ja der En Interesse daran. Und Shama hatte das Gefühl, dass der neue Kidu in der Lage sein könnte, die zum Lesen und Begreifen nötige Ausgeglichenheit aufzubringen.
    Ihre dritte Nacht, seitdem sie mit kurzen Haaren und ohne Gehirnerschütterung aufgewacht war. Chloe hätte schwören können, dass sie gehört hatte, wie Cheftu ihren Namen rief. Entweder das, oder sie halluzinierte, dass die Bäume nach ihr riefen. Ansonsten war im Haus kein Laut zu vernehmen. Wahrscheinlich saß Ningal im Hof und trank seinen allabendlichen Wein. Ulu war nicht mehr aufgetaucht, seit Chloe sie das erste Mal gesehen hatte.
    Leider konnte sie schlecht durch den Innenhof spazieren und verkünden, dass sie eine Verabredung mit dem En hatte. So schob sie sich an der Leiter nach oben, einer wackligen, für Kätzchen und Kinder gedachten Konstruktion, und steckte den Kopf durch das Binsendach. Natürlich war die Nacht wolkenlos und mit Sternen übersät, die groß wie Steine am Himmel hingen. Ein praktischerweise auf der Straße gepflanzter Baum überschattete die Stelle auf dem Dach.
    Chloe erklomm die letzten vier Sprossen und kletterte aufs
    Dach. Die üblichen Nachtlaute von Katzen, Hunden, Ziegen und Schafen erfüllten die Luft, vermischt mit dem nahen Gelächter aus einer Taverne und den weiter entfernten Arbeitsgeräuschen aus den Hafen. Sie benetzte die Lippen und flüsterte seinen Namen.
    »Cheftu.«
    Weder sah sie eine Bewegung im Schatten, noch hörte sie eine Antwort. Nachdem sie ihren Rock hochgerollt und unter ihrem Gürtel festgesteckt hatte, hechtete sie in einem Satz nach dem Palmenstamm.
    Das Mädchen aus den Marschen übernahm die Kontrolle. Chloe schlang die Beine um den Stamm und klammerte sich mit angewinkelten Knien wie eine Heuschrecke daran fest. Dann rutschte sie ganz langsam abwärts, bis sie den Boden erreicht hatte.
    Der Krumme Weg war eine breite Straße, und die ihn säumenden Häuser lagen versteckt hinter hohen, undurchdringlichen Mauern. Wie im Nahen Osten des zwanzigsten Jahrhunderts hielt man auch hier nichts davon, den eigenen Reichtum oder die Gemütlichkeit der eigenen vier Wände zur Schau zu stellen. Die Fackeln vor den Türen waren fast überall bereits gelöscht. Es war schon spät.
    Weiter unten an der Straße ging eine Tür, und Chloe zog sich zurück in den Schatten der Palme. Erst sah sie seinen Schatten überlebensgroß über die Wände tanzen, dann erblickte sie den Menschen selbst.
    Den En.
    Cheftu.
    Mit vorsichtigen, graziösen Bewegungen kam er die Straße

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