Die Händlerin von Babylon
Laufenden. Er hatte Nachkommen und diese ihrerseits Nachkommen und jene wie-derum. Die Erde würde nicht ohne eine Spur von Ningal dahingehen.
Chloe gab ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Er freute sich auf jeden Tag, nur weil sie dann wieder etwas Neues lernen und darüber staunen würde. Täglich wartete er darauf, dass sie im Zwielicht heimkam, wenn ihr langbeiniger Schatten noch länger war und ihr Duftgemisch von Sesam und Granatapfel durch die Abendluft zog. Wie es wohl wäre, Leidenschaft in ihren Augen glühen zu sehen, seinen Namen von ihren Lippen zu hören? Welche Freude wäre es, an ihrer Seite aufzuwachen, in ihr Gesicht zu blicken und zu sehen, wie ihre Augen in der frühen Morgendämmerung leuchteten?
Die Stunden, die er heute Abend im Tempel verbracht hatte, bewiesen, dass er immer noch seinen Mann stehen konnte. Sein Reichtum war außergewöhnlich, selbst in Ur, und seine Abstammung ohne jeden Makel. Falls sie Kinder wünschen sollte, konnte er auch die zeugen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er sich ein kleines Mädchens mit Khamitenhaaren und einem grünen sowie einem braunen Auge vorstellte, das am Finger kauend mit ihm plauderte und ihn Vater nannte. Mögen die Götter es wünschen, flehte er inbrünstig.
Er trat in den Hof; alles war still. In Chloes Zimmer oben an der Treppe war es dunkel. Sie schlief also noch. Noch nie war er unter die Säulen vor ihren Räumen getreten, in die Gemächer, die sie bezogen hatte, denn er hatte nie gewusst, was er ihr eigentlich anbieten sollte oder was sie eigentlich von ihm wollte. Jetzt war es soweit. Er setzte den Fuß auf die unterste Stufe.
Sollte ich das wirklich jetzt tun, wo der Wein noch in meinem Blut fließt, dachte er. Wo der Geruch einer anderen Frau an meinem Umhang klebt?
Er trat einen Schritt zurück. Chloe hatte Besseres verdient. Morgen früh würde er mit ihr sprechen und sicherstellen, dass sie das Abendmahl miteinander verzehrten. Sauber, rasiert und nüchtern würde er vor sie treten. Das schuldete er ihr. Vielleicht würde er danach diese Treppe erklimmen und sich von ihrer Hand hinaufziehen lassen.
Ningal lächelte hoffnungsfroh und zog sich in sein Bett zurück.
»Ich bin in die Tierklasse versetzt worden?«, fragte Chloe den Tafelvater. Obwohl sie eine Woche lang gefehlt hatte, konnte sie ihre vierzig Menschenkategorien immer noch auswendig.
»Weil du, äh, noch krank bist«, antwortete der Tafelvater. »Ich glaube, du solltest noch daheim bleiben, in der Obhut von Richter Ningal. Fertige die Tierliste an und lege sie mir vor, wenn du fertig bist.«
Mit einem Nicken schulterte Chloe ihren Lehmkorb - da ihr Kopf noch nicht ganz verheilt war, erschien es ihr nicht besonders schlau, Gegenstände darauf zu balancieren - und machte sich auf den Heimweg. Es war noch früh, und die Straßen waren leer. Seit es weniger zu essen gab, war auch auf den Straßen weniger los. Ich habe meinen Beitrag schon geleistet, dachte Chloe. Schließlich habe ich mehrere Tage nichts zu mir genommen.
All das diente dazu, ihren Geist von der drängendsten Frage abzulenken: Wo zum Teufel steckte Cheftu, und was wurde hier eigentlich gespielt?
Die meisten Männer hätten nichts gegen ein Amt einzuwenden gehabt, in der es ihre Pflicht war, mit anderen Frauen zu schlafen. Cheftu war nicht so, war nie so gewesen. Bestimmt kochte Puabi vor Eifersucht, dachte Chloe, während sie ihren Weg durch die kleine Gasse abkürzte, die hinter den Häusern am Krummen Weg vorbeiführte.
Die fremden Schritte störten sie nicht. Schließlich war es heller Tag; und sie war zehn Schritte von ihrem Haus entfernt. Bevor sie auch nur schreien konnte, wurde ihr der Mund zugehalten. Dann hörte sie nur noch ein Flüstern in ihrem Ohr: »Noch einmal hältst du mich nicht zum Narren, du kleiner khamitischer Leckerbissen.«
Puabi sang vor sich hin, ein eigenwilliges Verhalten für eine zum Tode verurteilte Frau. Falls sie nicht einmal den Versuch unternahm, ihre Rolle überzeugend zu spielen, würde kein Mensch den Austausch für bare Münze nehmen. Shama beobachtete sie skeptisch. Wann war das Mädchen, das einst der Liebling ihres verehrten Großvaters Ziusudra gewesen war, eigentlich so selbstbezogen und selbstverliebt geworden? Wann hatte sie sich abgekehrt von jenem Verhalten, das der Gott der Götter guthieß?
Kidu trat ein, ohne anzuklopfen. Puabi lächelte ihn an und schlang, um einen Kuss bettelnd, die Arme um seinen Leib. Shama beobachtete, wie der große Blonde
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