Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
tritt ein«, sagte er. »Du kommst zu spät.«
    Sie setzte sich in die letzte Reihe. Der Raum war voll: Bänke mit einer Ablage für das Vesper darunter, Knaben mit Lehmplatten und Schilfgriffeln in ihren Händen. Der Tafelvater nahm Chloe gar nicht zur Kenntnis. Dafür schaute der Knabe, neben dem sie sich niederließ, sie entsetzt an. Dann stupste er seinen Freund in die Seite. »Ein Weib«, flüsterte er.
    Der zweite Junge sah zu ihr her und schreckte hoch. »Ein altes dazu.«
    »Werte Herren«, ließ sich der Tafelvater vernehmen, »möchtet ihr der gesamten Klasse mitteilen, was so interessant ist?«
    »Herr, Vater, äh, neben mir sitzt ein altes Weib.«
    »Ausgezeichnet beobachtet, Bruder Haki.« Die übrigen Studenten wandten sich staunend um. Chloe dankte dem Himmel, dass sie ein kleines Cape und einen Rock angezogen hatte. Auf diese Weise war sie vor neugierigen Blicken geschützt, auch wenn sie unter der Wolle fast zerfloss.
    »Wir haben einen neuen Studenten. Da wir sie nicht anders benennen können, werden wir sie als Bruder Chloe ansprechen«, sagte der Tafelvater.
    Sie kicherten.
    »Bestimmt sind euch die Gerüchte zu Ohren gekommen, dass der Lugal auch den Frauen eine Ausbildung gestatten will.«
    Ein Junge meldete sich.
    »Ja, Bruder Miga?«
    »Bedeutet das, dass auch meine Schwester herkommen wird?«
    Die gesamte Klasse brach in entsetztes »Weiber!« -, »Schwestern!« - und ähnliches Geschrei aus. Chloe verkniff sich ein Grinsen. In welchem Zeitalter und welcher Zivilisation auch immer, Buben blieben Buben.
    Der Tafelvater knallte sein Hämmerchen auf den Tisch. »Das heißt es nicht. Wie ihr sehen könnt, ist Bruder Chloe älter als die meisten von euch.«
    »So alt wie Ziusudra!«, bot einer an.
    Der Tafelvater funkelte den Missetäter streng an. Der Vater war zwar klein und gedrungen, doch bewegte er sich, als gehöre ihm die ganze Welt, und er konnte mit einem Blick sein Gegenüber dahinwelken lassen. »Vielleicht solltest du zur Übung die Geschichte der Großen Flut niederschreiben, Bruder. Ich erwarte das Ergebnis bei der Abenddämmerung.«
    Die übrigen Studenten zogen auf der Stelle die Köpfe ein, während das Opfer seine Lehmtafel in Wasser tunkte, sie glatt strich und die Legende Silbe um Silbe in die Oberfläche zu ritzen begann.
    »Ihr Übrigen werdet, so ihr es eurem Bruder nicht gleichtun wollt, wieder eure Listen zur Hand nehmen. Chloe, beherrschst du das Listenschreiben bereits?«
    Die Jungen sahen sie an, aus sechzig schwarzen, braunen, grünen, hellbraunen und blauen Augen.
    »Nein.«
    Der Tafelvater winkte einen Älteren Bruder herbei. »Bring ihr das Wichtigste bei, Herr.«
    Schweigen senkte sich über den Raum, nur das Kratzen im Lehm und die Tauben in ihrem Verschlag in der Ecke waren zu hören.
    Der Ältere Bruder, der Roi hieß, nahm Chloe mit nach draußen unter das Sonnensegel. Dort begann er mit lu, für Mann, und führte sie durch eine Liste von Ehrentiteln. Bis zum Mittagessen hatte sie die Liste viermal kopiert.
    Die Betreuer verzogen sich und ließen Chloe für das Viertel einer Doppelstunde allein mit dreißig neugierigen Jungen zwischen neun und neunzehn Jahren. Irgendwo im Hintergrund meinte sie, die Melodie von »Bruder Jakob« zu hören. Die Buben zögerten keine Sekunde.
    »Bist du wirklich ein Weib?«
    »Wieso bist du nicht verheiratet?«
    »Was hast du im Haus der Tafel zu suchen? Bäh!«
    »Hast du Kinder?«
    »Du bist aber hübsch.«
    »Du musst ziemlich blöd sein, wenn du keine Listen schreiben kannst.«
    »Bist du Khamitin?«
    Sie fand kaum Zeit, zwischen all den Fragen ihre Vesper zu kauen und hinunterzuschlucken. Die meisten Jungen liefen oder hüpften herum, oder sie spielten Ball, trotzdem war Chloe immerzu von einer Fragen stellenden Traube umgeben. Und die ganze Zeit über sang jemand diese Melodie, die ihr so vertraut vorkam.
    »Mein Bruder kennt dich«, stellte einer fest. »Du bist seine Geliebte.«
    »Bin ich nicht.«
    »Du weißt ja nicht mal, von wem ich rede«, widersprach der
    Junge.
    »Das ist leicht zu beantworten«, sagte sie. »Ich habe nämlich überhaupt keinen Geliebten.«
    Die übrigen Jungen lachten den Fragesteller aus. »Du wolltest dich mal wieder wichtig machen, Roo!« »Roo, du Blödmann!« »Roo, du weißt doch nicht mal, wie man >Geliebter< schreibt!«
    »Aber dein Bruder ist ein guter Freund von mir«, versuchte sie dem Kleinen aus der Patsche zu helfen. Vergeblich. Roo starrte sie nur wutentbrannt an und trollte

Weitere Kostenlose Bücher