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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Angewidert schüttelte sie den Kopf, während Kidu immer schwerer und lauter zu schnarchen begann.
    »Schaff ihn mir aus den Augen«, befahl sie Shama. »Und lass mir ein Bad bereiten.« Shama machte kehrt, um die Laienpriester herzuholen, die Kidu tragen konnten. »Wenn das so weitergeht, Shama, mit diesen Drogen und diesem anmaßenden Gehabe, dann wird Kidu verschwinden«, verkündete sie. »Ich bin am Ende mit meiner Geduld.«
    Der Nachmittag war in verschiedene Fächer gegliedert. Mathematik, um die Fläche der Felder zu berechnen; Geometrie, um Kanäle und Bewässerungssysteme zu planen; medizinische Künste, um zu wissen, wie man sein Vieh zu versorgen hatte; und Buchhaltung, damit die Steuern korrekt gezahlt wurden. Jede Stunde wurde von einem anderen »Vater« gehalten. Nach Unterrichtsende gab der Tafelvater Chloe ein Zeichen, mit ihm zu kommen. Sie ließen sich an der Seitenwand des Gebäudes nieder - der Schatten des Sonnenzeltes war zu schmal für seinen massigen Körper. Dann begutachtete er ihre kläglichen Schreibversuche.
    »Weißt du, warum du diese Liste machst? Es ist die erste von vielen, die du schreiben wirst. Weißt du warum?«
    »Weil ich diese hier am meisten brauche?«
    Er ließ sich seufzend nach hinten sinken. »Ich war nicht gerade begeistert darüber, dass du das Haus der Tafel besuchen sollst«, sagte er. »Bei Tagesanfang hast du gesehen, warum. Und nun .« Er schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht einmal die grundlegendsten Dinge.«
    »Darum bin ich hier«, wandte sie ein. »Um diese grundlegendsten Dinge zu lernen.«
    Er sah sie scharf an. »Die Lehre des Namens. Darauf beruhen sämtliche Gemeinwesen zwischen den Flüssen. Nur darum haben wir die Schrift. Niemand außer uns besitzt sie.«
    Niemand auf der ganzen Welt? Oder niemand im Irak? Chloe wartete schweigend ab. Früher oder später würde er es ihr verraten. Bis dahin würde sich halt immer mehr Schweiß unter ihr ansammeln.
    »Indem man etwas benennt, ruft man es ins Sein; es wird sich seiner selbst bewusst. Sobald man den Namen einer Sache kennt, kann man sie beherrschen. Diese Listen zu erstellen und die Dinge zu benennen bedeutet, dass man die Welt, in der man lebt, in Besitz nimmt.«
    Chloe nickte.
    »Der Erste Vater nannte die Geschöpfe bei ihrem Namen und regierte daher als Lugal über sie. Wenn du also etwas schreibst«, fuhr er fort, »dann verlängerst du damit sein Leben, du machst es unvergänglich. Weil du es geschrieben hast, wird es so lange existieren wie deine Niederschrift. Dies ist die Berufung des Schreibers. Alle Seiende ins Leben zu rufen, es zu benennen und zu unterwerfen.«
    »Eine große Aufgabe für ein einfaches Menschenwesen.«
    »Es ist unsere Aufgabe, alles für die Götter zu ordnen und ihre Güter zu verwalten - diese Welt.«
    Sie schluckte ein Gähnen hinunter, doch seinem Adlerblick entging einfach nichts. »Dein Gekritzel ist grauenvoll. Knete den Lehm durch und schreib alles noch mal.« Er erhob sich, und sie tat es ihm eilig nach. »Du bleibst hier«, befahl er. »Ich verlasse mich darauf, dass du nicht einschläfst.«
    Dann verschwand er wieder im Haus, während Chloe so ausgiebig gähnte, dass sie befürchtete, sich den Kiefer auszurenken. Es war nach wie vor sengend heiß und etliche Stunden hin bis zum Zwielicht. Warum habe ich mir eigentlich eingebildet, das hier zu wollen, rätselte sie. War ich betrunken? Die Schule ist kein Spaß, das galt für alle Zeiten und alle Länder. Darum gehen nur so wenige hin und darum überstehen sie noch weniger. Reichten Grundschule, Unterstufe, Mittelschule, Oberstufe, College - fünfzehn Jahre der Schulbildung - immer noch nicht aus?
    Sie blickte auf ihre zaghaften Einprägungen im Lehm und übertrug die Zeichen hastig in den Staub neben ihr. Dann tunkte sie den Lehm in Wasser und knetete ihn, bis er weich und nachgiebig war. Schließlich packte sie ihren Griffel und begann von neuem.
    »Mensch, männlich.«
    Ezzi zitterte, obwohl er sich alle Mühe gab, es zu unterdrücken. Asa Sterndeuter stand hinter ihm, und hinter diesem wiederum wartete eine ganze Horde von Sterndeutern, Exorzisten, Weissagern und Asu. Die Ensi sah aus wie die Göttin Inana, wenngleich Ezzi sich fragte, ob die Göttin wohl oft zornig war. Die Ensi war es jedenfalls.
    »Was hat das zu bedeuten?«, wollte sie wissen.
    Der Lugal trat vor. »Ich habe doch erwähnt, dass ein Zeichen am Himmel steht«, sagte er. »Der Sterndeuter ist gekommen, um mit dir darüber zu

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