Die Händlerin von Babylon
zurecht, es geht ja nicht anders. Vielen Dank. Bitte, bitte schwöre mir, dass du nie einer Menschenseele von diesem Gespräch erzählst!«
Nimrod sah sie mit vertrauensvollen Cockerspaniel-Augen unter den langen Wimpern an. »Wenn es dir so wichtig ist, dann schwöre ich, dass ich niemandem davon erzählen werde, ganz gleich, womit man mich zu bestechen versucht. Ich werde dein Geheimnis mit ins Grab nehmen. Soll ich das euch beiden schwören?«, fragte er lächelnd.
Chloe wandte den Blick ab. »Danke.« Keiner von beiden sprach, nur die Laute der Vögel und des fließenden Wassers füllten die Stille.
»Ich muss in die Stadt zurück«, erklärte er schließlich. »Du solltest nicht allein hier draußen bleiben. Du könntest im Zwielicht verloren gehen.«
Ich bin in der Geschichte verloren gegangen, dachte sie. Ganz allein. Was tut das Zwielicht da noch zur Sache. »Ich komme gleich nach. Ich brauche nur . noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken.«
Er sah sie ein paar Sekunden lang eindringlich an, doch Chloe ... Chloe war vollauf damit beschäftigt, sich an den Zügeln ihrer dahinschießenden Gedanken und Hoffnungen festzuklammern.
»Gib Acht«, verabschiedete er sich und verschwand.
Sie starrte ins Wasser, auf das Gesicht, das ihres war und doch nicht ihres war, auf die Augen, die im Moment grün waren, aber offenbar öfter die Farbe wechselten. »Und wenn du endlich denkst, du hättest die Regeln kapiert, dann schmeißen sie garantiert alles wieder über den Haufen.«
Rudi schaute auf die Zeichnung des Nachthimmels, die sie eben angefertigt hatte, und konsultierte dann ihre Karten.
Der neue Stern stand fest im Quadranten von Ur. Aufzeichnungen gab es so gut wie keine, denn die Sterne wurden erst seit der Großen Flut beobachtet. Und seither hatte es nur spärliche Kommentare gegeben, doch denen konnte sie entnehmen, dass dies tatsächlich ein neuer Stern war.
Gern trat ohne anzuklopfen ein. »Du arbeitest am Tag?«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Ich könnte dir beim Einschlafen helfen.«
Sie sah ihn nicht einmal an. Gern bot seine Dienste jedem und jeder an. Bei ihm beruhte das auf Berechnung. Er hatte sich zurechtgelegt, dass sein Angebot, wenn er es stets erneuerte, zu einem gewissen Prozentsatz wahrgenommen würde. Gern, war ihr aufgefallen, schlief so gut wie nie allein. Andererseits trug er im Gesicht auch meist den Handabdruck einer Frau, die sein Angebot ausgeschlagen hatte.
»Asa hat gesagt, dass der neue Stern eine neue Ensi ist?«, fragte sie.
»Nein.«
Nun drehte sie sich doch zu ihm um. »Du selbst hast mir das vor wenigen Wochen erklärt.«
»Ich habe gesagt, Asa behauptet, der neue Stern würde bedeuten, dass wir eine neue Ensi wählen sollten.«
Rudi beugte sich wieder über ihre Aufzeichnungen. »Weiß Asa irgendwas über die neue Ensi? Unter welchem Stern das Menschenkind geboren wurde, aus welchem Geschlecht es stammt? Wir müssen dem Rat wenigstens eine Wahl lassen.« Und Puabi würde die Betreffende einige Zeit unterweisen müssen, ehe sie selbst zurücktrat. »Ich halte es für keine gute Entscheidung, die Ensi ziehen zu lassen, gerade wenn die Ernte eingebracht werden soll.«
Gern schlitzte das Siegel auf einem Bierkrug auf. »Möchtest du was?«
»Was für eines ist es?«
Mit zusammengekniffenen Augen entzifferte er die Inschrift. »Es ist aus saurer Maische und aus der Taverne am Nordosttor.«
Sie nickte. »Und dazu hätte ich gern etwas gepökelten Fisch und Gurken aus dem Korb da drüben.«
Gern hechtete sich darauf. »Wenn du nur kochen könntest, Rudi, dann wärst du das perfekte Weib, und ich würde dich in mein Haus schleifen.«
»Das wäre eine Entführung in die Sklaverei, Gem. Ich kann nicht kochen und ich kann dich nicht leiden.«
»Ach so. Na dann«, meinte er, wobei er den Korb öffnete.
Ihre Unterhaltung verlief wie üblich, ihre Hälfte konnte sie schon im Schlaf aufsagen. »Hast du in der Nacht der Tagundnachtgleiche den fallenden Stern beobachtet?«
»Da war ich nicht im Dienst.«
»Ich auch nicht«, sagte sie. »Darum ist es ja auch so gemein, dass ich bestraft wurde -«
»Fang nicht schon wieder damit an, Rudi. Ich werde nicht zulassen, dass du Asa noch mal kritisierst.«
Sie seufzte und trank einen Schluck Bier. Es passte vorzüglich zu dem Fisch. Der Fisch . Rudi zog die Karte mit den Häusern des Himmels hervor und verglich sie mit dem neuen Stern. »Die Meerbarbe«, sagte sie. »Ich glaube, das ist das Zeichen der neuen Ensi. Sieh doch
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