Die Häuser der anderen
beschützen zu können. Rasch war ihm aufgefallen, dass es am schönsten war, den Garten für sich allein zu haben; zum Glück kam es immer öfter vor, dass Gebrechen die alten Leutchen daran hinderten, herunterzukommen – die Reyers und auch die alte Klahr hatten sich zuletzt alles liefern lassen. Und dann waren sie einer nach dem anderen, alle aus dem vierten und fünften Stock, mit den Füßen voran die Treppen hinunter getragen worden. Die Musik machte eine Pause und setzte dann wieder ein. Herr Emmermann stieß die Luft mit einem Seufzen aus. Es war früh am Tag, die schlimmste Hitze ließ noch auf sich warten. Über Nacht hatte es geregnet; die Beete sahen in nassem Zustand schwarz und nahrhaft aus, die Rosen noch stolzer und schöner, wie frisch gespült. Die Blüten glänzten in allen Farbabstufungen, vom zartesten Pfirsichrosa über Karminrot, Scharlachrot, Purpurrot, Weinrot, Blutrot bis zu einem Ton, der fast schwarz war, ein Schattenmorellenschwarz. Rechts am Grundstück waren die Stauden, die ein Stück der alten Mauer überwucherten, verblüht, aber dafür standen Sommerlinde, Beifuß und Dahlien in voller Pracht, sorgten für gelbe, rosa und rote Farbtupfen. Dahlien mit ihren dicken, schweren Köpfen waren seine liebsten Blumen – nicht Rosen, Dahlien. Diese kleine Extravaganz erlaubte Herwig sich. Er schätzte vor allem, dass sie völlig geruchlos waren. Wer hätte diese Diskretion von einer so auffälligen Blüte erwartet. Aber so war es. Er pulte sich mit dem Zeigefinger im linken Ohr herum. Er hatte in diesem Jahr nicht versäumt, die Walnussbäume zu beschneiden, wie im Vorjahr, wo sie viel zu stark geblutet hatten. Oh ja, das alles war Arbeit. Aber es lohnte sich. Es sah herrlich aus.
Seine Hoffnung, Sven würde an diesen schönen Tagen herauskommen und sich sonnen, wurde jedoch enttäuscht. Ihn entschädigten die Melodien, die sein Tadzio spielte und die alles um Emmermann herum neu färbten, neu benannten und veränderten; inmitten der ihm altbekannten Umgebung kam Herwig sich vor, wie an einen anderen Ort versetzt, einen Ort, den er weder lokalisieren noch wirklich hätte beschreiben können. Die Tage nach Svens Einzug verbrachte er wie betäubt. Er glitt durch den Garten, als wöge er gar nichts, er biss in sein Mittagessen, und es schmeckte süß und salzig und weich und hart zugleich, er folgte einem Schmetterling mit den Augen und empfand eine nie erlebte Empathie mit dem Insekt. In ihm regte sich der Verdacht, er wäre nie zuvor wirklich glücklich gewesen. Sobald Sven aufhörte zu spielen, begann Emmermann, das Gehörte nachzupfeifen, weil er hoffte, der junge Mann würde das mitbekommen und erkennen, wie unglaublich musikalisch er war. Leider reagierte Sven nicht auf seine Bemühungen; bis auf ein knappes Grüßen, wenn er seinen Müll hinausbrachte und ihn in der Nähe der Tonnen herumlungern sah, kam seinerseits gar nichts. Er ist in Gedanken bei seiner Musik, sagte sich Herwig.
Nacheinander zogen die anderen Studenten ein. Keiner von ihnen war auch nur ansatzweise zu vergleichen mit Tadzio, weder die beiden pickligen angehenden Informatiker noch die junge Blondine. Den Einzug der Frau verpasste Sven, da er über das Wochenende zu seinen Eltern gefahren war, wie Emmermann wusste, da er durch das offene Erdgeschossfenster ein Telefonat mitgehört hatte. Diese Frau war Herrn Emmermann auf Anhieb unsympathisch, da sie ihn, wie alle Heterofrauen mit großen Brüsten, an seine Mutter erinnerte. Und dann auch noch dieses ordinäre blonde Haar! Dass sie ein echtes Problem darstellte, begriff er aber erst, als er miterlebte, wie Sven und sie sich begrüßten. Sven kam gerade vom Einkaufen nach Hause, er traf die Blonde im Hausflur. Emmermann, der sich gerade an den Briefkästen zu schaffen machte, trat hinter die Tür.
»Hallo. Du musst unser Neuzugang sein.« Sven reichte Blondie eine lange weiße, sehr feine Hand.
»Hallo. Mirjam Mahler.« Sie lächelte.
»Schöner Name«, lächelte Sven zurück.
Und er begann augenblicklich, über seine Liebe zu Mahler zu sprechen. Er sagte wirklich »Liebe zu Mahler«. Unfassbar. Es dauerte eine Weile, bis Herwig begriff, dass es sich um einen toten Dirigenten und Komponisten handelte, der überhaupt nicht mit der Schnepfe verwandt zu sein schien, ein Gustav Mahler. Sven schwärmte vom »Übergang von der Spätromantik zur Moderne«, mit der dieser Kerl anscheinend etwas zu schaffen hatte. Dann sagte diese Mirjam etwas, das mit dem frühen Tod
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