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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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Dank, ich denke auch, ich werde mich hier wohlfühlen. Hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte Sven missmutig. Sehr gefreut – das war die Übertreibung des Monats. Der Mann behielt sein Vertreterlächeln bei, er schien nicht zu verstehen. Sven betrachtete den fürchterlichen Fuß: »Den müssen Sie schon wegnehmen, sonst wird er eingeklemmt.«
    Für eine Sekunde zögerte Herr Emmermann unglücklich, dann ging er – spielerisch, nicht allzu defensiv – einen Schritt zurück, fast war es ein Tänzeln, und ehe er sich versah, befand er sich wieder allein im Hausflur, wo er einen Winkel im Zwischengeschoss bezog, um dort versteckt gemeinsam mit Sven Merano auf die Ankunft des Umzugswagens zu warten.
    »Ein Klavier?«, wiederholte Herr Eisen am Abend stirnrunzelnd, als er den Lagebericht einholte. Er sah Musikinstrumente jeder Art, ähnlich wie Haustiere, als Affront an, als Kriegserklärung – es war nicht einmal nötig, das jemand auf ihnen spielte. »Du meinst, wir machen es über die Lärmbelästigungsschiene?«
    Die Lärmbelästigungsschiene beinhaltete Beschwerden beim Ordnungsamt und bei der Polizei. Sie kannten die zuständigen Beamten inzwischen, mit Sammy im Ordnungsamt war Eisen per »Du«. Es wäre kein Problem, relativ schnell die erste Abmahnung zu erreichen. Die Vermieterin auf Mallorca spurte, wenn man den rechten Ton anschlug. Eisen lächelte: »Du hattest mal wieder alles richtig vorausgesehen, mein Lieber. Es wird nicht schwer. Wie konnte ich nur so dumm sein!«
    Bert säuselte die Worte – er dachte an Sex dabei und hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie als Vorspiel verstanden würden –, doch Herwig war ganz offensichtlich nicht in Stimmung.
    »Erst einmal warten wir auf die anderen drei«, blockte er ab.
    Herr Eisen, der sich schon auf das ausführliche Planen aller Schikanen gefreut hatte, zog einen Schmollmund, von dem er ebenfalls hoffte, er würde als Vorspiel verstanden, denn er fand seinen Schmollmund, wenn er sich im Spiegel betrachtete, immer außerordentlich sexy. »Du musst aber auch bei ihm damit rechnen, dass er versucht, sich in den Garten zu setzen«, muffelte er, als das auch nichts nutzte, und stand auf, um den Fernseher anzumachen.
    Es ärgerte ihn, dass sein Lebensgefährte sich so unentschlossen zeigte – normalerweise besaß er den Ehrgeiz eines echten Sadisten. Man konnte nur hoffen, das deutete nicht auf bröckelnde Charakterfestigkeit hin; er musste das im Auge behalten.
    »In den Garten setzen? Da mach dir mal überhaupt keine Gedanken«, erwiderte Herwig nun zum Glück und ließ in diesen Worten immerhin etwas vom alten Zuchtmeister erkennen. »Ich werde aufpassen.«
    Herwig Emmermann hielt Wort. Er verbrachte seine Tage von nun an permanent draußen, er nahm dort auch seine Mahlzeiten zu sich. Auf diese Weise hörte er, wenn Sven Klavier übte. Oder was man so üben nannte: Er spielte ziemlich perfekt; Emmermann glaubte sogar einmal, Mozart zu erkennen. Zuerst versuchte er, sich selbst vorzumachen, dass ihn das Spiel störte, und es erschien ihm wie Betrug, als er sich eingestand, dass dies keineswegs der Fall war. Dann beließ er es dabei und gab sich ganz seinen Tagträumen hin.
    Zu diesem Zeitpunkt war Herwig Emmermann sich keiner Gefahr bewusst, im Gegenteil, er sah beinahe gespannt in die Zukunft. Zumal er sein Versprechen nicht vernachlässigte: Er achtete darauf, dass niemand außer ihnen den Garten betrat. Er hatte vom Rasen aus den besten Blick auf den Hausflur, denn er ließ die Durchgangstür sperrangelweit offen. Wenn es regnete, konnte er sich ins Gartenhäuschen setzen, aber die meiste Zeit war es schön; er lauschte Svens Klavierspiel und ließ die Gedanken schweifen. Allerdings dachte er sich keine Quälereien aus und spielte auch keine möglichen Szenarien im Kampf mit den neuen Mietern im Kopf durch, wie es besonders fähige Schachspieler vor großen Turnieren taten. Vielmehr tauchte er in die Vergangenheit ab. Er erinnerte sich noch genau daran, wie hier vor fünfundzwanzig Jahren alles ausgesehen hatte, als Bert und er eingezogen waren. Die alten Paare, die hier gewohnt hatten und inzwischen dort lagen, wo sich auch die Blumenzwiebeln befanden, hatten das Haus schon lange nicht mehr im Griff gehabt. Wie dankbar waren sie ihm gewesen. So hatte sie angefangen – seine Gartenleidenschaft. Und Leidenschaft hieß schließlich Leidenschaft, weil sie Leiden schafft , dachte er feinsinnig; was man liebte, galt es zu bewachen, um es

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