Die Häuser der anderen
gebracht. Sie haben es gebracht. Oder sie haben geerbt. Unser Haus hat nach Franks Unfall wieder seine Mutter bekommen – er hatte nur Wohnrecht gehabt, das hat er mir nie gesagt. Auch nicht, in welchen finanziellen Schwierigkeiten die Studios seit der Krise stecken, dass etliche Mitglieder nicht mehr zahlen. Er wollte mich nicht aufregen, ich bin früher immer wegen jedem Schwachsinn durchgedreht; er hat mich geschützt. Und natürlich hat er mit zweiundvierzig kein Testament gemacht. Er war so großzügig – wir haben selten über Geld gesprochen. Seine Mutter dagegen ist eine eiskalte Person. Sie konnte mich nie leiden, und das einzig Gute am Tod ihres Sohnes war, dass sie mich nach den drei Monaten, die sie mir für die Trauer zugestanden hat, vor die Tür setzen konnte.
»Seien wir ehrlich«, hatte sie zu dem Typen im Gericht gesagt, »sie versäuft es ja doch.«
Als ob ich nicht anwesend wäre. Und dann hatte sie ihm allen Ernstes das Hochzeitsfoto von Frank und mir gezeigt, um zu beweisen, wie sehr ich in ein paar Jahren abgebaut hätte.
»Ich werde eine Kur für sie beantragen«, heuchelte sie, und der Amtsmensch nickte verständnisvoll, arme Mutter, die ihren Sohn verloren hat und sich jetzt mit der erbschleichenden Alkibraut rumschlagen muss. Wochen später kam ein Bündel mit Antragsformularen von der Rentenversicherung für mich, ohne Gruß. Weiß der Teufel, woher sie über meine Rentenversicherung Bescheid weiß, vermutlich habe ich etwas im Haus vergessen. Ich habe nicht viel mitgenommen und ich würde nie mehr in die Gegend um den Kuhlmühlgraben kommen, wenn ich nicht noch losen Kontakt zu Luisa hätte, die mir ab und an Jobs besorgt. Allerdings waren wir nie richtig befreundet, sie kam zum ersten Mal unter einem Vorwand nach Franks Tod, um nach mir zu schauen, weil sie tragische Geschichten mag und gerne Mutter Teresa spielt. Ich fürchte, dass ihr Mitleid sich mit den Jahren verbraucht hat. Dass sie mich nur noch als Belastung empfindet. Aber ich kann nicht von ihr lassen. Nicht allein, weil nur sie weiß, dass es mein früheres Leben überhaupt gegeben hat, und es mir sonst keiner glauben würde. Irgendwie habe ich sie auch lieb gewonnen. Sie ist so makellos. Wie eine bildschöne, kleine Maschine, die nur für sich allein ihre selbst erfundenen Aufgaben perfekt löst.
Ich zünde mir eine Zigarette an. Verdränge den Gedanken, dass es Luisa lieber wäre, ich würde gar nicht mehr bei ihr vorbeischauen. Ich habe von mir aus angeboten, mich die sechs Wochen, die sie weg sind, um Benno zu kümmern und ihre Blumen und die Post, ja, das war mein Vorschlag gewesen, und keiner hat darüber gesprochen, dass es um Geld geht, ein paar kleine Scheine. Sie hat lange gezögert, bis sie gequält ja gesagt hat.
»Das Leben geht weiter«, sage ich zu Benno, der wie idiotisch an der Leine zieht. »Aber weißt du, das sagt man so. Ich denke manchmal, dass das nicht stimmt. Das Leben geht nicht weiter, es tut nur so. Alles um einen herum ist Fassade und wertlos.«
Beim letzten Satz bin ich laut geworden. Habe ihn über die Straße gebrüllt. Benno bleibt irritiert stehen.
»Fassade und wertlos«, wiederhole ich, leiser. Peinlich, eigentlich, hier auf der Straße rumzugrölen. Scheißegal.
Ich biege nicht in die Straße ein, sondern gehe an der Hausreihe vorbei. Dahinter beginnen die Wiesen. Als wir die ersten Bäume passieren, mache ich den Hund los. Hier, nicht weit von den Gebäuden, ist schon Natur. Hier ist dieser Herbst tagsüber, wie Kinder ihn malen, wenn sie einen dieser gigantischen Buntstiftkästen besitzen; er lässt mit seinen Farben, von buttergelb bis weinrot, keinen Gedanken an andere Jahreszeiten zu, so schön ist er. Und dann sind da auf den Blättern diese Reste von Grün, neonfarbenem Grün, die mich immer total umhauen, kleine Kleckse in der Gelbrotbraunpalette, Kleckse mit präzisen Konturen. Solange sie an den Bäumen hängen, merkt man nicht, dass diese schönen Blätter schwach geworden sind. Weil sie so prachtvoll sind, denkt man automatisch, sie seien voller Kraft, gerade so, wie man von einer großartigen Eigenschaft auf andere schließt, so, wie man glaubt, eine Frau mit einem schönen Mund müsse auch gut küssen oder ein Mann mit großen Hände könne einen wirklich und wahrhaftig beschützen.
Ich sehe das Herbstlaub an, das noch an den Bäumen hängt, und denke darüber nach, was wir alles hatten und noch hätten haben können. Das Haus und ein Kind, das einen großen
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