Die Häuser der anderen
nicht mehr, ihr Körper wurde nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht, dieser einzigen Botschaft: Der Hund ist tot. Der Hund ist tot.
Der Unterschlupf
I ch sitze auf dem Sofa. Habe das Licht nicht angemacht, als ich von meinem Nachmittagsschlaf aufgewacht bin, obwohl es draußen inzwischen dunkel geworden ist. Habe den Kühlschrank auch so gefunden, die Straßenlaterne ist hell genug. Ich ziehe an meiner Zigarette. Nach zwei Bier stehe ich auf und hole ein drittes.
»Irgendwann schalten sie sowieso den Strom ab. So gewöhn’ ich mich schon mal dran«, sage ich zu Benno.
»Stoßen wir darauf an, dass es nicht so bald sein wird. Nein, mir wird etwas einfallen, Frauchen ist nicht blöd.«
Ich trinke. Asche auf den Boden. Der Hund sieht mich vorwurfsvoll an. Ich würde ihn gerne auf die Straße lassen, wo er herumrennen und alles anpinkeln kann, aber das geht nicht. Er würde zu Luisas Haus zurücklaufen und die Nachbarn auf den Plan rufen. Benno ist nicht mein Hund. Ich bekomme Geld für das, was sie »seine Pflege« nennen. Ich achte immer darauf, dass sie mich beim Gassigehen in einem guten Zustand sehen. Ganz lieb spiele ich auf den Wiesen direkt hinter Luisas Haus mit ihm und seinem Stöckchen, und wenn sie und ihr Mann von der Reise zurück sind und dezent ihre Erkundigungen einholen, werden sie nur Gutes über mich hören.
Ich drücke die Dose zusammen, hole noch eine; es ist die letzte, ich muss gleich raus. Beschließe, jetzt ganz langsam zu trinken. Mache erst noch mal den Fernseher an. Der Hund winselt. Er ist ein ganz Schlauer. Laufender Fernseher heißt: So schnell passiert hier gar nichts mehr. Ich erkläre ihm, dass es hier nicht um den Film geht. Ist nur Unterhaltung beim Biertrinken. Ich sage ihm, dass ich meine Mindestdosis brauche. Erwähne auch, dass es an seiner Hundehoheit höchstpersönlich liegt, dass ich nichts Stärkeres daheim habe. Dann ginge es schneller. Aber Fürsorgepflicht und so. Was passiert, wenn ich einschlafe und erst am nächsten Tag wieder aufwache, was geschieht dann mit ihm? Na also.
»Guck doch mal die schöne Tiersendung, Süßer. Affen, da in dem Kasten.«
Etwa fünf Minuten lang ist Benno beeindruckt von meiner Rede. Hört sogar mit dem Gewinsel auf. Nach einer Weile beginnt er, an der Tür zu kratzen. Ich denke: Vielleicht muss er einen Haufen machen. Das kann ich in der Wohnung echt nicht gebrauchen. Es sieht hier schon seit einer Weile nicht mehr besonders toll aus. Aber es gibt eine Grenze. Der Forscher sagt gerade: »Gorillas sind wie alle Affen nicht stubenrein, sie müssen ihre Schlafplätze täglich neu bauen.« Als ob er bei mir ins Wohnzimmer schauen könnte, wo ich mit Benno die gleichen Probleme habe wie die Gorillas. Naja, ungefähr. Benno ist ja stubenrein. Ich schalte aus, obwohl es mich interessiert hätte, was der Forscher mit »neu bauen« meint. Ziehen sie andauernd um, oder was? Mehrmals am Tag? Vielleicht wird die Sendung morgen im Vormittagsprogramm wiederholt, dann werde ich besser zuhören.
Ich ziehe Franks alten, schweren Parka an, ein Kleidungsstück zum Drinwohnen, das leider längst nicht mehr nach ihm riecht. Gehe mit Benno an der Leine die Abkürzung zu den Wiesen. Sie führt an zwei Trinkhallen vorbei, aber nicht an meinem Stammkiosk. Besser so. Die kalte Luft macht mich schnell wieder nüchtern. Ich gehe rasch, dicht an schwarzen Hausfassaden entlang. Selbst in der Dunkelheit, die alles verschlingt, erkennt man noch, ob die Leute dahinter wohlhabend sind oder nicht: Es gibt die arrogante, kalte Schwärze der glücklichen, innerlich abgestumpften Bürger und die ausweglose, ansteckende der Mietshäuser mit den kleinen, kahlen Fenstern. Mein Viertel ist das mit den Mietshäusern. Glätzenviertel klingt wie eine Mischung aus »Glatze« und »ätzend«; das Gallus ist ein Immobilienparadies dagegen. Die Fenster ähneln schwarzen Löchern. Ab und zu springt einer raus, man weiß nie, ob aus Depression oder im Drogenrausch, und es ist letzten Endes jedem egal. Eine Viertelstunde Fußweg entfernt sieht es anders aus. Die ganze Straße Am Kuhlmühlgraben, auch unser ehemaliges Haus, gehört zu denen mit der arroganten Schwärze. War das früher anders, als wir darin wohnten? Ich könnte nicht festmachen, was sich geändert hat. War ich eine andere? Ich lasse den Gedanken fallen. Ich kenne die Mieter nicht, aber sie werden sein wie alle hier. Ehrgeizige Leute, nicht mehr ganz jung, die es geschafft haben. Die Bausparverträge haben es
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