Die Häuser der anderen
ich doch nicht, mein Süßer, alles ist gut. Jetzt lauf, apport!«
Es ist schön, hier zu stehen und die kalte, klare Luft zu trinken. Es ist schön, dem Hund zuzusehen, der in einiger Entfernung Zickzacklinien läuft. Es ist wirklich schön. Er ist zwar weder besonders schnell noch sehr elegant, aber so lebendig, und er gibt alles, wenn er über die Wiesen jagt.
Oben, dämonisch auftrumpfend, der Mond, und darunter die Wiesen. Ich bin ganz allein und habe Angst, auch bald zu sterben, und ich wünsche es mir. Wenn es jetzt, in diesem Moment passierte, wäre es nicht schlimm. Oder doch? Ich stehe ganz still. In der Angst und der Ungewissheit bin ich ganz bei mir.
In einiger Entfernung kommt eine Gestalt mit einem angeleinten großen Hund, ein Bernhardiner dem Umriss nach. Benno rennt hin, und der andere Hund wird auch abgeleint, sie jagen sich gegenseitig. Ich gehe ein paar Schritte zurück, aber die Gestalt steuert auf mich zu. Es ist eine Frau, sie ruft schon aus der Entfernung: »Hallo!« Sie will ein Gespräch anfangen, ich merke es.
»Hallo«, sage ich nur. Ich will sie nicht kennenlernen, oder doch? Ich habe einen ganz klaren Kopf, ich lalle nicht. Wann habe ich zuletzt mit einem echten Menschen gesprochen? Gestern Morgen, kurz, mit Marlon, dem Kioskmann. Ich könnte eine ganz normale Unterhaltung führen. Vielleicht kennt sie Luisa. Ich pfeife meine Gedanken zurück wie eben Benno. Allein dass ich das denke, ist schon schlecht. Keine Unterhaltung. Ich habe meine Regeln. Lasse mich auf den Wiesen nie ins Gespräch ziehen. Wer schlau ist, merkt es und kann es riechen. Die Tiere riechen es sowieso.
Ich pfeife nach Benno. Er trabt an und bringt seinen neuen Kumpel mit.
»Das ist Eddie. Er ist erst eins«, sagt die Frau freundlich, und der Bernhardiner wedelt mit dem Schwanz.
Ich leine Benno an.
»Das ist Benno. Leider müssen wir jetzt gehen«, sage ich sorgfältig zu der Frau. Der erste Satz klingt ein wenig verschliffen, aber das kann als Nuscheln durchgehen.
Benno dreht sich noch ein paar Mal nach dem jungen Bernhardiner Eddie um, aber nur vorsichtig, er hat begriffen. Er bockt bei mir nicht herum wie bei Luisa, setzt sich nicht hin und weigert sich weiterzugehen. Er spürt ganz genau, wie es mir geht.
Vor ein paar Tagen habe ich Benno vor dem Aldi an einen Laternenpfahl gebunden. Habe gemütlich eingekauft. Kam zurück, und Benno war nicht mehr da. Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Dann saß er ein paar Meter weiter mit der losen Leine bei den Einkaufswagen. Eine alte Frau streichelte ihn. Ich musste beim Anbinden den Laternenpfahl verfehlt haben.
»Der ist aber brav«, sagte sie.
Das ist Benno.
In einiger Entfernung sage ich jetzt zu ihm: »Du hast ja Recht. Ein bisschen schade ist es schon. Sie hat ganz nett ausgesehen.«
Die Frau hatte rabenschwarze kurze Haare. Eher abgewetzte Sachen, zerschlissene Turnschuhe. Andererseits – man muss sehr reich sein, um so schlecht angezogen daherzukommen, und ich bin ziemlich sicher, sie ist in Wirklichkeit eine tolle Frau mit geregeltem Drumherum, und wenn so eine meine Verzweiflung bemerkt, dann lässt sie mich fallen wie eine heiße Kartoffel.
»Wie soll ich sagen, Benno – ich würde das jetzt echt nicht verkraften, weißt du.«
Ich denke an den vergangenen Sommer. Am Kiosk habe ich eine junge Frau getroffen, jünger als ich, vielleicht Ende zwanzig. Sie hieß Nada, eine Spanierin.
Wenn ich mir einen Namen hätte aussuchen können, es wäre Nada gewesen. Nichts. Was gibt es für einen ehrlicheren Namen? Das Witzige ist, dass bei Nada zu dem ehrlichen Namen noch ein Wortspiel dazukam: Sie hing nämlich an der Nadel. Sie sei nur Wochenendfixerin, hat sie immer beteuert. Irgendwann ist sie nicht mehr zum Kiosk gekommen.
Plötzlich wirken Bewegung und Sauerstoff anders. Oder liegt es daran, dass ich seit zwei Wochen nichts Härteres getrunken habe als Bier oder Wein? Ich bin jetzt jedenfalls ziemlich dicht und draufgängerisch. Zu allem Möglichen fähig.
»Na, Benno, was machen wir Schönes?«
Wo ich schon hier bin, könnte ich auch zu Luisas und Christophers Haus gehen und endlich die Blumen gießen. Ich war bisher erst einmal dort. Fühlt sich so verlassen an, das Haus. Unheimlich. Aber die Pflanzen müssen jede Woche gegossen werden. Die Orchideen mit abgekochtem Wasser. Darauf hat Luisa Wert gelegt.
»Was meinste, Benno, schmecken die Orchis das?«
Aber es passt. In dieses Haus passen Orchideen, die eingehen, wenn ihr Wasser nicht
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