Die Häuser der anderen
wie ein Stück pralles Mett. Dabei überlegte sie, ob die Hunde den Säugling angreifen würden, wenn sie ihn beispielsweise mit Kalbsleberwurst bestrich, und sie musste ein Lächeln unterdrücken. Sie sagte: »Es ist aber wirklich selten, dass jemand stiehlt, Sie haben großes Pech gehabt, leider.«
»Na, ich weiß nicht.«
Sie musterte Gaby, und die ließ es sich gefallen. In der Jeans und dem weiten Hemd, ungeschminkt und die Haare nur mit einem Gummiband zurückgebunden, sah sie genauso tüchtig aus, wie man sich eine Putzfrau wünscht, und Frau Taunstätt war offensichtlich bereit, den Handel schnell abzuschließen: »Nun, Raina konnte kaum Deutsch, was mir ganz recht war, dann kann sie wenigstens keine Indiskretion begehen, dachte ich mir. Allerdings hatten wir dadurch auch Verständigungsprobleme, das ist bei Ihnen ja nicht der Fall.«
Gaby sagte eifrig: »Ich unterschreibe gerne ein Papier, wegen Diskretion und so, ich weiß ja – natürlich –, dass Sie beim Fernsehen sind.«
Frau Taunstätt lächelte müde. »Ach, Frau Mol« – Gaby hatte sich als Angelina Mol vorgestellt, ein Mischname aus Angelina Jolie und Gretchen Mol, ihren Lieblingsschauspielerinnen –, »so wild ist es im Moment nicht. Ich mache mindestens ein halbes Jahr Pause. Sie sehen ja – ich bin völlig überfordert! Mir ist dauernd schlecht, ich bin permanent müde.«
Gaby, die selbstmitleidige Menschen nicht ausstehen konnte, sah unangenehm berührt nach unten. Der Perserteppich musste dringend gesaugt werden, und unter der Couch gegenüber flockte der Staub auf dem Parkett. Wie viele Tonnen Dreck hatte sie eigentlich schon im Leben weggeschrubbt, Dreck anderer Leute, Dreck, der immer wieder neu entstand, der nie aufhörte? Und hier war sie im Haus der Taunstätts und konnte nicht einmal richtig wütend sein, nicht auf diese zupackende Art und Weise, wie sie es üblicherweise bei ihren Stellen an den Tag legte. Sie war zu deprimiert und gleichzeitig zu befangen, es widerstrebte ihr, wieder in ihre alte Rolle der Putzfrau zu schlüpfen. Innerlich war sie schon so viel weiter, ihre Träumereien hatten sie ganz woanders hin katapultiert: Sie kam sich vor wie die Gewinnerin eines Supertalentwettbewerbs, die noch einmal beim Casting anfangen musste.
»Zehn Euro die Stunde hatte ich Raina bezahlt. Meinen Sie, das wäre für Sie o.k.?«
Gaby schwieg und zählte langsam bis sieben, das wirkte fast immer.
Tanja Taunstätt seufzte: »Also gut, zwölf, in Ordnung. Ich zeige Ihnen das Haus.«
In der Zeitschrift, dachte Gaby, hat es anders gewirkt, nicht so dunkel, und es standen auch nicht so viele halb vertrocknete Pflanzen herum. Gaby überlegte, ob die Pflanzen eventuell für die Fotos angeschafft und dann vergessen worden waren. Langsam folgte sie Tanja Taunstätt, während die sich vor ihr die Holztreppe heraufmühte.
»Passen Sie auf, es ist glatt«, sagte Gabys neue Arbeitgeberin, dabei trug Gaby im Gegensatz zu ihr, die in Socken herumlief, feste Schuhe. Gaby erinnerte sich daran, dass in Britneys Klasse schon zweimal Kinder eine ähnliche Treppe heruntergefallen waren und sich etwas gebrochen hatten. Ob die Taunstätts hier Schutzgitter anbrachten, wenn das Baby krabbeln konnte? Schweigend besah Gaby sich die oberen Zimmer – die Arbeitszimmer, die Schlafzimmer, wieder ein Bad. Sie fühlte sich plötzlich müde und schwer, als ob sie selbst ein Kind in sich trüge. Sie fragte sich ernsthaft, ob sie wirklich in der Lage wäre, einen Unfall zu provozieren.
Frau Taunstätt sagte gerade, dass sie in Marks Zimmer nichts tun müsse. »Da darf keiner rein«, sagte sie mit gespielter Leichtigkeit, durch die ihre Verärgerung klang. »Das ist wohl das Alter.« Und sie hielt sich den Bauch, als beruhigte sie nur der Gedanke, dass ihr leibliches Kind einmal ganz, ganz anders werden würde. Gaby dachte an Britney, die sie so erzogen hatte, dass es gar nicht nötig war, ihr Zimmer zu betreten: Gaby hatte ihr klargemacht, dass sie in genügend Häusern putze, und Britney hatte von klein auf ihre Sachen selber in Ordnung gehalten – das war völlig selbstverständlich. Gaby hatte ihre Tochter ziemlich gut im Griff.
Sie selbst war ausgesprochen ehrgeizig, schon seit sie ein kleines Mädchen war. Ihre besondere Begabung war die Mimesis. Sie passte sich unauffällig an neue Lebensumstände an. Weil es ihr zu Hause nicht gefiel und sie sich gerne von den eigenen Eltern ablenkte, stellte sie immerzu Fremde in den Mittelpunkt ihres Lebens.
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