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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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Leute, die Gabys Familie nicht kannten, schlossen aus ihrem offenen, vertrauensvollen Wesen, dass sie aus einem funktionierenden, liberalen Zuhause kam. So war es nicht. Streitereien im Alkoholrausch waren bei ihren völlig aufeinander fixierten Eltern die Regel. Die adrette Kleidung der kleinen Gaby zeugte von ihrem persönlichen Eifer, bei den Caritasflohmärkten der Stadt eine der ersten zu sein. Mager, leidlich hübsch und immer bereit, anderen nach dem Mund zu reden, war sie bei ihren Lehrern, Nachbarn und den Mitarbeitern des Sozialamts gleichermaßen beliebt. Das einzig Anstrengende an Gaby war, dass sie so schwer loszuwerden war. Sie ging nie freiwillig nach Hause. Wenn es Zeit für sie wurde zu gehen, ignorierte sie geflissentlich alle Hinweise – schließlich vermisste sie zu Hause niemand.
    Und nun, fünfundzwanzig Jahre später, erging es ihr wieder ähnlich: Gaby verbrachte den ersten Vormittag arbeitend bei den Taunstätts, und die schlechte Stimmung, die sie während des Vorstellungsgespräches befallen hatte, war vergessen. Es gefiel ihr; sie wollte gar nicht mehr zurück ins Glätzenviertel. Der Trick war, dass sie nur spielte, wieder in ihre alte Rolle geschlüpft zu sein. Stattdessen bewegte sie sich in dem neuen Haushalt vom ersten Tag an wie ein Familienmitglied mit besonderen Aufgaben. Sie führte sich auf, als kommandiere sie eine unsichtbare Dienerschaft und wäre es nicht selbst, die den Lappen in den Eimer tunkte. Sie stellte eine Putzfrau dar  – und je besser sie ihre Rolle ausfüllte, desto höher schwebte sie über den Dingen, desto weniger konnten Schmutz und Staub ihr anhaben. Auf diese Weise hatte sie eine Möglichkeit gefunden, ohne Groll zu tun, was in dieser Phase des Plans nötig war.
    Zuerst kam Gaby nur vormittags, putzte die Bäder, leerte Papierkörbe, staubte die unzähligen Fotos der beiden verstorbenen Chow-Chows ab, wischte den Kühlschrank aus, saugte Hundehaare weg, und wenn sie fertig war, ging es wieder von vorne los. Frau Taunstätt erbrach sich in sämtliche Toiletten und manchmal vergaß sie sogar, die Spülung zu drücken. Die Schwangerschaft bot ihr anscheinend einen Vorwand, sich einmal so richtig gehen zu lassen. Jede jüngere Mutter, dachte Gaby bei sich, würde sich besser zusammennehmen. Die Schwangere sah sich sentimentale Filme auf dvd an und aß dabei Pralinen, von denen ihr wiederum übel wurde. Sie heulte mit Grund und ohne. Ihr Mann, der Tierarzt, arbeitete länger und setzte Operationen neuerdings auch abends an; Gaby konnte es ihm nicht verdenken. Wenn jemand in diesem Hause der Fruchtbarkeit und Erwartung überflüssig war, dann ein Mann. Überall im Haus sammelten sich Bücher zur Babypflege und Säuglingssachen an, die Möpse spielten mit Rasseln und zerbissen Kuscheltiere. Die Zeit bis zur Entbindung von Frau Taunstätt verging wie im Flug.
    Als Britneys Sommerferien begannen, flogen Mark und sie auf Kosten der Taunstätts in den Urlaub nach Istanbul, wo Mark anscheinend eine Menge Leute kannte. Britney schrieb begeisterte E-Mails. Obwohl Gaby natürlich wusste, dass die jungen Eltern Mark nur aus dem Weg haben wollten, freute es sie, dass Britney davon unmittelbar profitierte. Sie hatte die Versetzung in diesem Jahr nicht geschafft, aber Gaby, die selbst gerade mal den Hauptschulabschluss hatte, brachte es nicht fertig, ihr Vorwürfe zu machen, auch wenn sie sich mehr für sie gewünscht hätte.
    Wenn schon die Schwangerschaft Frau Taunstätt überfordert hatte, so war ihr Talent zur Babypflege gleich Null. Gaby musste jetzt auch nachmittags zwei Stunden kommen, um zu waschen, zu bügeln und zu kochen. Es machte sie nervös, wenn sie sah, wie ungeschickt Frau Taunstätt mit dem kleinen Mädchen umging, und Gaby schlug vor, dass sie bei zwei anderen Haushalten aufhören würde. Ihre Arbeitgeberin war so dankbar, dass ihr die Tränen in die Augen traten, als sie zustimmte. Längst hatte Gaby ihren eigenen Schlüssel, ihren Platz an der Garderobe und eine persönliche Lieblingstasse in der Küche. Das kleine Mädchen hieß bedauerlicherweise Eugenie. Vermutlich gefiel der Moderatorin, dass »Genie« in dem Wort steckt, sagte Gaby zu Britney, die noch Wochen nach ihrem Urlaub braun gebrannt und bester Laune war. Gaby begann, das Baby ihrerseits Jenny zu nennen.
    »Lass sie doch«, sagte Frau Taunstätt mit erloschener Stimme zu ihrem Mann, als der sie darauf ansprach. »Es ist doch alles nur vorübergehend, bis ich ein wenig bei Kräften bin. Ich

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