Die Häuser der anderen
war, hatte sie sich schon das Haus vorgestellt, in dem Britney, Mark und das Baby wohnen würden – und in dem sie selbstverständlich ein- und ausging. Das Wohnzimmer gliche dem im Taunstättschen Anwesen aufs Haar, und der Tierarzt und die Moderatorin würden häufig zu Besuch kommen.
Jetzt aber, angesichts der neuen Umstände, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Denn Frau Taunstätt bekam ein eigenes Kind, mit vierundvierzig, es war unglaublich. In jedem Fernsehdrama hätte Gaby eine solche Wendung des Geschehens hanebüchen gefunden. Im ersten Moment war sie entrüstet gewesen, danach deprimiert – in dieser Phase fühlte es sich an, als schrumpfe jede noch so helle Szene zu einem unbedeutenden Flicken im Patchwork der großen dunklen Decke, die ihr über den Kopf geworfen wurde und die nicht mehr abzuschütteln war. Dann hatte sie sich gesagt, dass sie einfach viel zu hohe Ansprüche an das Schicksal stellte, viel zu hohe Ansprüche an alle, Ansprüche, die sie nur an sich selbst haben durfte, um sich anzutreiben, nicht faul und träge zu werden. Es war zu viel, wenn sich ihre Ansprüche in Selbstvorwürfe verwandelten und ihr den Tagesrückblick sauer machten. Umwege gehören dazu, sagte sie sich. Umwege sind nur eine Herausforderung, man darf sich nicht abschrecken lassen. Tausend Umwege führen immer noch zum Ziel, das Ziel verändern sie nicht. Nun musste es eben so gehen.
Auf keinen Fall würde Gaby sich ihre Träume zerstören lassen. So werden wie alle? Oh nein. Gaby hasste es zu sehen, wie die meisten Menschen mit dreißig oder vierzig Jahren bereits vorsichtig und heimlichtuerisch wurden, mit Falten zwischen den Augen und misstrauischem Blick. Sie dachte an ihre Mutter. Oh, diese Schultern, die immer nach vorne fielen, diese hängenden Brüste in der ewig verschwitzten Bluse – allein sie anzusehen war schon unangenehm! Diese Frau, das war unverkennbar, hatte aufgegeben, sie begehrte längst nicht mehr, nichts und niemanden. Und Gaby wollte alles tun, um dieser Willenlosigkeit und Weichheit zu entgehen.
»Hi«, sagte Britney und kam wieder zu ihr. Wie es ihre Art war, knüpfte sie sogleich an das unterbrochene Gespräch an – eine Angewohnheit, die sie mit ihrer Beschäftigung in der Tennisbar angenommen hatte, wo sie abends, wenn viel los war, an drei Ecken der Theke gleichzeitig parlierte. »Pass auf, dir ist schon klar, dass du dann nicht mehr da joggen gehen solltest? Ich glaube, das fänden sie komisch …«
»Du meinst, wenn ihre Putzfrau da joggt? Hm, ja, das habe ich mir auch überlegt.«
Gaby verspürte plötzlich einen Anflug schlechter Laune. In Plan A war sie niemals Putzfrau bei den Taunstätts gewesen, sondern gleich die Brautmutter.
»Ich weiß immer noch nicht recht, was du damit bezweckst«, sagte Britney jetzt. »Ich meine, sie ist hochschwanger, du wirst sie kaum die Treppe runterstoßen wollen, damit sie das Baby verliert, oder?«
»Würde ich schon gerne tun,« sagte Gaby leichthin, »geht aber leider nicht so ohne Weiteres. Daher werde ich sie einfach mal ein bisschen auskundschaften. Sehen, was sich tun lässt.«
»Mach bloß keinen Scheiß, Mama.«
»Auf keinen Fall, versprochen. Vertraust du mir?«
»Klar, Mama.«
Sie lächelten sich an.
Das Vorstellungsgespräch fand nur zwei Tage später statt. Frau Taunstätt, inzwischen im achten Monat, watschelte vor Gaby her ins Wohnzimmer, während die beiden Möpse links und rechts an ihr hochsprangen und nach ihren Händen schnappten. Frau Taunstätt, die das anscheinend gewohnt war, murmelte etwas davon, dass weder sie noch ihr Mann jemals Zeit für ihre Erziehung gehabt hätten – »Peinlich genug für einen Tierarzt«, sagte sie. Die Moderatorin hatte winzige Augen mit schwarzen Ringen darunter; ihr Haar hing dünn und strähnig auf die Schultern, und auf ihrem dunklen Pullover prangte ein weißer Fleck, der nach Joghurt oder Quark aussah. Sie bot Gaby nichts zu trinken an, sondern legte gleich los: »Ja, also, Ihr Anruf kam zur rechten Zeit, wir sind ein wenig in einer Notlage. Von wem, sagten Sie noch einmal, haben Sie davon gehört?«
»Von einer alten Bekannten von mir, die auch manchmal Leuten im Haushalt hilft. Sie war mit Raina befreundet, bis sie gemerkt hat, dass sie – nun ja, nicht so integer ist. Wissen Sie, wenn das einmal passiert, schadet das unserer ganzen Berufsgruppe.«
Gaby log mit ruhiger, sanfter Stimme und streichelte dabei einen der Möpse, der sich unangenehm anfühlte,
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