Die Häuser der anderen
Gabys schönsten Erinnerungen gehörte, wie sie bei der abendlichen Joggingrunde am Taunstätt-Anwesen ein ungemein aufschlussreiches Gespräch belauscht hatte. Frau Taunstätt saß mit dem Handy im Garten, so dass sie zwar im Haus nicht gehört werden konnte, für Gaby hinter der Hecke aber bestens zu verstehen war. Sie sprach atemlos und mit einer hohen, schrillen Stimme, die Gaby aus dem Fernsehen an ihr nicht kannte.
»Er sagt so merkwürdige Dinge. Es ist unheimlich, fast, als wäre man mit einem jungen, hyperintelligenten Tier zusammen. Er hat die Augen überall. Und was er für Fragen stellt. Er hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich Martin nicht mehr liebe. Wirklich, ausgesprochen intelligent. Aber er – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll –, er verwendet seine Intelligenz nicht für positive Dinge. Ich meine – nein, böse in dem Sinn ist er nicht, glaube ich, obwohl er mich manchmal ein wenig ängstigt. Er schnappt Sachen auf, die man sagt, und bringt sie in verblüffende Zusammenhänge. Er hat mir zum Beispiel mal erklärt, weshalb Martin mit Tieren so gut kann. Aber so, wie er es sagte, hat es sich angehört wie etwas Perverses – wie bitte? Ja, ja, nein …«
Gaby hielt die Luft an, während sie fasziniert lauschte.
»… aber ich verstehe einfach nicht, wieso er aus alldem nicht etwas machen will … Nein, ich sage dir, er scheißt auf alles, was mit uns zu tun hat … Er will nichts als Taschengeld und seine Ruhe. Ja … ja …«
Erstaunlich, dass Tanja Taunstätt überhaupt kein Gespür für junge Leute hatte, dachte sie. Dass ihr der Junge so leicht etwas vorspielen konnte. Seit sie ein Mädchen war, hatte Gaby eine Schwäche für gerissene Gauner, sie dachte dabei immer an die Sopranos . Solche Menschen, glaubte sie, mussten ihren eigenen Weg im Leben finden, sich irgendwie durchschlängeln. Nur einen Fehler durfte man nicht machen: sie ändern zu wollen.
»… und dann die Mädchen, ich meine, das sind richtige Schlampen, aber das ist nicht das Problem; er hat einfach noch seine alten Freunde. Aus dem Milieu, wenn du weißt, was ich meine …« Das Gemurmel wurde undeutlicher, die Möpse bellten, und die Moderatorin lief mit dem Handy zurück ins Haus.
Drogen, dachte Gaby, na klar, wie sollten junge Leute heute sonst zu Geld kommen. Sie musste lachen. Als Britney ihr kurz darauf wieder mit diesem Typen in den Ohren lag, in den sie unglücklich verliebt war, Jack oder John oder Jan, sagte Gaby, keiner sei besser geeignet als Mark Taunstätt, um bei Jack oder John oder Jan Eifersucht und Interesse für Britney zu wecken. Sie müsse sich ausprobieren. Ausprobieren, wie es war, Selbstbewusstsein vorzutäuschen – so lange und gründlich, bis man es schließlich hatte. Britney war zuerst skeptisch gewesen, aber Gaby hatte ihr geraten, ihn richtig anzumachen, das fänden Jungs klasse. Weshalb, glaubte sie, verliebten sich so viele Männer in Nutten? Und was passierte? Es klappte wunderbar. Sexappeal, darauf kam es an, und wenn sie, Britney, etwas hatte, dann das.
Britney hatte Mark im mtv , einem Technoclub, angesprochen, und noch am gleichen Abend hatte sie bei ihm übernachtet. Ihrer Mutter schickte sie aus einem der Bäder im Taunstätt-Haus eine sms : Die Möpse von der Alten sind ätzend. M. findet meine viel besser!
Gaby war vor Glück erst gegen drei Uhr eingeschlafen. Jetzt lag alles in Britneys Hand, und sie vertraute ihr. Sie sollte einfach behaupten, sie nehme die Pille. Denn das war Gabys Plan zur Sicherung der Zukunft ihrer Tochter: Britney und Mark könnten heiraten und ordentlich Kohle von den Taunstätts lockermachen, und selbst wenn sie sich später wieder trennen würden, konnte man großzügige Alimente für das Kind einklagen, plus eine Abfindung, weil Britney schließlich das Abitur hatte machen wollen und studieren. Fall eins war besser, Fall zwei immer noch okay. Gaby kannte über Walther einen gerissenen Anwalt, der das schon alles einfädeln würde. Es hatte wunderbar angefangen, verdächtig gut …
Gaby hatte ihre Apfelschorle leer getrunken. Ein halber Liter Flüssigkeit, Mann, war sie durstig gewesen.
Ja, Britney war in kürzester Zeit Mark Taunstätts feste Freundin geworden. Gabys Laufstrecken wurden seitdem immer länger und ihre Tagträume schillernder. Sie sah zu Britney hinüber, die mit dem Trainer schäkerte, wie selbstbewusst und locker sie im Umgang mit Männern war – Gaby war stolz auf ihre Erziehung.
Da alles so glatt gelaufen
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