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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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Hotel »Zu den drei Gipfeln«, diesem vornehmen, aber mit den zunehmenden Unpässlichkeiten meiner Großeltern auch leicht heruntergekommenen Haus. Als Zimmermädchen – wie meine Mutter, als sie in meinem Alter war – arbeitete ich nicht: Meine Großeltern wiesen mich in die Hotelleitung ein. Die Tage und Wochen über träumte ich von meiner großen Karriere in Luxushotels in Dubai und auf Hawaii, und falls mich jemand fragte, was ich mit meinem Leben anzustellen gedächte, beschrieb ich gerne und ausführlich meine schillernden Träume.
    Ich hatte Milo mitgenommen, und dem inzwischen ziemlich alten Beagle gefiel es, die Hotelgäste zu beobachten, sich von Österreichern, Amerikanern und Russen streicheln zu lassen und gleichzeitig mich in dem Büro hinter dem Empfangstresen zu bewachen, in dem mein Großvater mir die Bücher zeigte und meine Großmutter mir begreiflich zu machen versuchte, was es bedeutete, die »Seele« eines Hotels zu sein.
    Eines Freitags fand eine Beerdigung statt, zu der meine Großeltern gehen mussten, und ich sollte sie vertreten. Sie wirkten beide nervöser als sonst. Ich meine, natürlich verwirrt einen der Tod, aber sie begannen schon im Morgengrauen, sich anzukleiden. Ich streifte gerade durch das Frühstückszimmer, bemüht, »präsent und doch nicht zu präsent zu sein, wie ein Geist, den man jederzeit herbeirufen kann«, wie mir Großmutter das erklärt hatte, da kam mein Großvater zu mir und bat mich, doch einmal bei Ella – meine Großmutter hieß Elfriede – im Ankleidezimmer vorbeizusehen, sie bekomme ihr Kleid nicht zu und wisse auch nicht, ob die Schürze passe. Ich hatte gerade mit einem Ehepaar aus Bayern geplaudert, das Einwände gegenüber der Berglandschaft hatte (warum seid ihr dann nicht daheim geblieben, dachte ich), und war froh, dass er das Gespräch übernahm.
    Meine Großmutter stand, seitlich verdreht, vor ihrer Jugendstil-Frisierkommode und versuchte, ihre Rückseite zu betrachten. »Was meinst du?«, fragte sie ratlos, »sitzt das nicht zu eng inzwischen?«
    Es belustigte mich, dass sie in ihrem Alter immer noch so eitel war, selbst bei einer Beerdigung, und ich ging mit ernsthafter Miene um sie herum und begutachtete ihre Gestalt, die zierlich war und der das steife schwarze Leinenkleid etwas Rhombisches gab – als wäre sie eine Halmafigur, die sich nur schiebend vorwärts bewegen konnte.
    »Das passt dir doch noch prima«, sagte ich. »Sieht gut aus.«
    Zufällig fiel mein Blick auf die ausgeschnittene Todesanzeige, die eingerahmt von Kämmen und Haarnadeln in der Mitte der Kommode lag, als ob meine Großmutter, während sie ihr Haar gerichtet hatte, immer mal darauf schauen und sich so innerlich auf das bevorstehende Ereignis hatte vorbereiten wollen. Ich las den Namen: »Rose Spitterli.« Ich blieb abrupt stehen. Rose, dachte ich. Rose mit dem Schweizer Akzent. Konnte das sein? Ich betrachtete die Daten. Rose war fast hundert Jahre alt geworden.
    Meine Großmutter, die mich im Spiegel beobachtet hatte, fragte: »Was ist?« Mich durchfuhr der Gedanke, dass sie die Anzeige mit Absicht dahin gelegt hatte.
    »Nichts«, sagte ich, »für einen Moment habe ich geglaubt … nichts«.
    Während der ersten Stunde, in der ich meine Großeltern verabschiedet hatte – sie waren viel zu früh losgegangen, hatten sich aber nicht aufhalten lassen – , war ich unruhig. In der zweiten beschloss ich nachzukommen. Mir standen die Geschehnisse in jenem Sommer vor zehn Jahren so deutlich vor Augen, dass ich es kaum glauben konnte, so lange nicht mehr daran gedacht zu haben. Meine Mutter hatte irgendwann die massiven Kiefernholzmöbel in ihrem Arbeitszimmer verkauft, weil sie etwas Leichteres wollte, Korb und Stoffe, und ich hatte das, was im Bettkasten gewesen war, bis eben vergessen. Es war zwar Freitag, aber das Hotel würde sicher auch eine Stunde ohne mich auskommen. Ich sagte Diana, dem Zimmermädchen, und Nikolas an der Rezeption Bescheid, dass ich für fünf Minuten zur Post ginge. Auf diese Weise, dachte ich mir, kämen sie gar nicht auf die Idee, nachlässig zu werden. Gerade noch rechtzeitig, als ich das Haus verlassen wollte, fiel mir ein, dass ich besser etwas Dunkles anziehen sollte.
    Kurz darauf hatte ich so ziemlich alle schwarzen, grauen und braunen Stücke, die ich besaß, übereinander gezogen, und ich kam mir verkleidet und ein wenig steif vor, als ich im sanften Frühlingswind dem Weg zum Friedhof folgte. Ich dachte flüchtig an die letzte

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