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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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ich meine Mutter, was denn die Frau von ihr wollte, aber sie sagte nur: »Das verstehst du nicht. Es ist etwas von früher, und ich möchte es als Erinnerung behalten.«
    »Von früher aus Davos?«, fragte ich, denn meine Mutter kam ursprünglich aus der Schweiz, wo meine Großeltern ein Hotel führten. Ich liebte das Hotel und die Berge und meine Großeltern mit ihrem fremden Akzent und konnte es nicht erwarten, alt genug zu sein, um dort als Zimmermädchen zu arbeiten.
    »Ja, aus Davos. Das erzähle ich dir ein andermal.«
    Ein andermal  – das war ihr Ausdruck, wenn sie auf keinen Fall etwas preisgeben würde.
    Als ich nun mit klopfendem Herzen in der Diele stand und auf das Signal meiner Mutter wartete, hoffte ich inständig, dass es wieder die Alte wäre, und gleichzeitig fürchtete ich mich. »Zulassen!«, rief meine Mutter von oben, und dann noch einmal, als ob ich es nicht längst verstanden hätte: »Nicht öffnen, Susanne!«
    Es klingelte noch ungefähr eine Viertelstunde lang in regelmäßigen Abständen, und die ganze Zeit versuchte meine Mutter, sich mit einer Tasse Tee zu beruhigen, aber ich merkte, es gelang ihr nicht.
    Als das Telefon schrillte, eilte meine Mutter hin. Es war unsere Nachbarin von gegenüber: »Ja, danke, ich weiß schon, dass da eine alte Frau vor der Tür steht und klingelt. Ja, Margarete, das ist nett von dir, klar, du weißt, ich bin zu Hause. Nein, unsere Klingel ist nicht kaputt«, sagte meine Mutter. »Ich will sie einfach nur nicht hereinlassen. Ach, das ist eine lange Geschichte – ich erzähle sie dir ein andermal.«
    Während der ganzen Zeit, in der sie geredet hatte, unnachgiebig und selbstsicher, hatte es genauso hartnäckig weiter an der Tür geschellt. Unsere Klingel hatte keinen besonders angenehmen Ton, und die ganze aufgeregte Atmosphäre, das Versteckspiel und der andauernde Lärm brachten mich dazu, mit Milo in den Garten zu flüchten. Dort standen Brombeerhecken, und durch ein niedriges Gartentürchen konnte man zum kleinen Weg an den Wiesen herausgehen. Ich erschrak fast zu Tode, als ich die Alte hinter der Hecke stehen sah. Sie stand genauso da wie vor zwei Tagen vor unserer Tür, mit dem grauen Haarknoten unter dem Tuch, dem Korb, in dunklen Sachen. Diesmal hatte sie eine riesige Goldbrosche in Form eines Schmetterlings am Revers. Es war, glaube ich, ihr Versuch zu lächeln, der mir am meisten Angst machte. Ich stieß einen Quiekser aus, Milo knurrte verstört, und wir rannten zurück ins Haus, wo ich geistesgegenwärtig die Terrassentür hinter mir schloss – die kleine Gartentür war allzu leicht zu öffnen. Ich presste meinen ganzen Körper gegen die seitliche Hauswand, damit die Frau, falls sie durch den Garten käme und durch die riesige Glasfront spähte, mich nicht sah. So fand mich meine Mutter, die endlich ihr Telefonat beendet hatte.
    »Sie hat aufgehört zu klingeln«, sagte sie siegessicher und richtete mit den Händen ihre Haare. »Meine Güte, Susanne, was ist denn mit dir los?«
    »Sie ist am Gartentor«, keuchte ich, immer noch gegen die Wand gepresst. Meine Mutter erstarrte.
    Meiner Erinnerung nach ging das Spiel noch einige Tage lang, und obwohl meine Mutter genauso stolz und stur blieb, wie sie nun einmal war, und meinem Vater kein Sterbenswörtchen mehr sagte, merkte ich an ihrer gedrückten Stimmung und einer neuen Zerstreutheit, dass diese Belagerung sie sehr mitnahm. Mich beeindruckte ihr stummes Leid, und mehrmals versuchte ich noch, irgendwie an das Kästchen heranzukommen, einmal zog ich sogar vorsichtig die Matratze herunter, aber ich konnte nichts sehen, und durch den Lattenrost kamen meine Finger nicht an das Schloss des Bettkastens heran. Dann begann die Schule wieder, und ich bekam nicht mehr mit, ob die Alte mit ihrer Quälerei weitermachte, doch es dauerte nicht lang, da schickten mein Vater und unser Hausarzt meine Mutter zur Kur. »Deine Mutter braucht etwas Ruhe«, sagte mein Vater. Aber ich hörte zwei Nachbarn einmal etwas von ihren »Nerven« tuscheln. Doch wenn meine Mutter Ruhe brauchte, dann sicher nicht vor uns.
    Als meine Mutter zurückkam, roch sie gut und hatte ein neues, zitronengelbes Kleid an, aber ich entdeckte eine Müdigkeit in ihren Augen, die ich vorher nicht gekannt hatte: das erste Anzeichen dafür, dass sie nicht immer jung und schön bleiben würde.
    Zehn Jahre später bewarb ich mich erfolgreich in Heidelberg an der Hotelfachschule, und bevor es losging, machte ich ein erstes Praktikum in Davos, im

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