Die Häuser der anderen
einfach zurückgegeben? »Da sehen Sie«, sagte neben mir Maria Rössl, Roses Freundin, mit ihrer dunklen, vorwurfsvollen Stimme, »da sehen Sie, was Ihre Mutter angerichtet hat.«
»Nichts hat sie angerichtet« erwiderte ich aus einem Impuls heraus, und inmitten all der Beweise stehend, sagte ich tapfer: »Die Geschichte ist falsch.«
Nach Venedig
K urz nach ihrer gemeinsamen Reise zum vierten Hochzeitstag begann Christopher, nach und nach sämtliche Kleidungsstücke von Luisa im Internet zu versteigern. Er hatte lange nach einem geeigneten Verkäufernamen gesucht und sich dann für shoppingmaus1 entschieden, ein Pseudonym, das zwischen Kauftussi , Heelqueen und Miri22 gar nicht auffiel. Außerdem war es völlig anspielungsfrei. Nichts deutete darauf hin, dass diese Sachen jahrelang einer ehrgeizigen Geisteswissenschaftlerin gehört hatten. Luisa hätte diesen Namen gehasst.
Natürlich wäre es einfacher gewesen, alles der Kleidersammlung zu geben oder einem Secondhandladen. Aber er wollte, dass es dauerte. Er wollte es zelebrieren. Er tat so, als räche er sich an Luisa, und verletzte damit sich selbst. Für die meisten Sachen hatte er bezahlt, er verdiente mehr, und einige Budgets – Restaurant, Kleidung, Flüge – waren im Laufe der Ehe unmerklich in seinen Zuständigkeitsbereich gefallen. Er dachte an die Momente, in denen sie die Kleider gekauft hatten, in seiner Heimatstadt Hamburg, in Paris, als sie Luisas Bruder besuchten, in Rom nach ihrem Kongress, in New York nach seinem Vortrag; er nahm Abschied. Sorgfältig fotografierte er die Pullover, Kostüme, Hosen und Röcke – sie hatte Unmengen von Röcken – aus mehreren Perspektiven, stellte die Bilder ins Netz und begann anschließend, kleine Texte dazu zu erfinden, die die Qualität des jeweiligen Stückes lobten und kurz den Grund angaben, weshalb shoppingmaus1 sich von ihnen trennte. Christopher beschrieb Kaschmirpullover, Markenjeans und Missonikleider in zuerst holpriger, dann immer flüssigerer Prosa. Er wählte eine vertrauenerweckende Schreibschrift aus. Was die Geschichte dahinter anging, ließ er sich von verschiedenen Verkäuferinnen anregen: Fast hatte er sich schon für eine leicht abgeänderte Version von Ich-miste-mal-meinen-Schrank-aus entschieden, da fand er noch etwas Geeigneteres: Babypfunde. Shoppingmaus1 wurde (wie GabiHannover ) die Babypfunde nicht los und musste sich daher von Größe 34/36 trennen. Das gefiel ihm richtig gut. Er erwähnte die Gewichtszunahme bei nahezu jedem Kleidungsstück, nur nicht bei den Schuhen und Schals. Luisa, die niemals zunahm, da sie nichts aß, wäre blass geworden bei der Vorstellung, sie könnte eine Kleidergröße zulegen. Er arbeitete wie besessen. Er wollte es beendet haben, bis der heftigste Furor vorbei war. Falls dann Reue einsetzte, und damit rechnete er insgeheim, dann wäre es auf jeden Fall zu spät, und Strickjenny, Moira19, Aerobicgirl und noch ein paar andere Mädchen mit Luisas Magermaßen wären längst Besitzerinnen dieser schönen Garderobe.
Es hatte etwas Sinnliches, so mit dem Fotoapparat auf dem großen Bett im Schlafzimmer zu sitzen und all die Textilien um sich zu haben, als säße er in einem warmen Nest. Er drapierte die Kleidungsstücke, die er an diesem Tag ins Netz stellen wollte, in einem großzügigen Halbkreis um sich herum. An einer Leggings war noch das Preisschild dran. Das gelbe Dingsda kannte er überhaupt nicht. Den Badeanzug hatte er seit mindestens fünf Jahren nicht an ihr gesehen. Er nahm ihr diesen Überfluss persönlich übel. Während er arbeitete, beschloss er, auch einen Teil seiner Kleidungsstücke wegzugeben, einfach, weil er nicht mehr so dekadent sein wollte. Außerdem wollte er Veganer werden und ein Kind in einem sos -Kinderdorf unterstützen. Vielleicht könnte er einem Kloster als Novize beitreten. Für ein paar Jahre, mindestens aber ein Jahr. Es musste sich etwas verändern.
Doch bereits beim Mittagessen, das er vor dem Fernseher einnahm, war er sich mit dem Veganersein und dem Kloster nicht mehr so sicher. Ein paar Sachen loswerden, das müsste er aber. Ja, er hatte – erneut – ein wenig zugenommen, nicht viel, aber er spürte es und es widerte ihn an. Er sah an sich herunter auf seinen Bauch und lächelte böse, dann stellte er die Hälfte seines versalzenen Omeletts in den Kühlschrank. Es war eine Sache, dass er sich wünschte, seine gesamte Umgebung inklusive ihm darinnen würde sich nach der Trennung von Luisa möglichst
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