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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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standen, direkt vor den Frauen. Wenn es um die gegangen wäre, dann hätte ich doch gehört, wie jemand zur Vitrine ging, sie sogar aufmachte.
    Nach einer unendlichen Zeit kamen die beiden Frauen wieder aus dem Wohnzimmer; meine Mutter war zwar immer noch aufgewühlt, schauspielerte aber nicht mehr. An der Tür sagte sie kühl: »Rose. Es hat keinen Sinn, dass du wiederkommst.«
    »Das werden wir ja sehen«, sagte die Alte. »Er gehört mir, mein Schatz. Verstehst du? Mir!«
    Es war so ungewöhnlich wie alles an diesem Vormittag in den Osterferien, dass meine Mutter nicht das letzte Wort hatte. Sobald Rose gegangen war, eilte meine Mutter in ihr kleines Zimmer. Sie machte die Tür hinter sich zu, und als sie auf mein mehrmaliges Klopfen nicht antwortete, drückte ich vorsichtig die Klinke. Sie hörte mich nicht und rechnete wohl auch nicht damit, dass ich hereinkam. Normalerweise war dieses Zimmer das langweiligste überhaupt, meine Mutter verschwand darin, um endlose Schnittmusterbögen mit kleinen Schleifenrädchen auszuschneiden, die Bögen dann auf Stoffe zu legen, die Ränder mit Kreide abzupausen und dann alles noch einmal im Stoff auszuschneiden, bis sie überhaupt zum Zusammennähen kam. Aber diesmal war es anders. Sie hatte den Bettkasten ihres Mädchenbettes aufgezogen, in dem sie manchmal schlief, wenn sie Streit mit meinem Vater hatte oder erkältet war und niemanden anstecken wollte. Der Kasten stand offen, und sie war über ein glänzendes, sehr elegant aussehendes schwarzes Holzkästchen gebeugt. Und sie weinte. Es war das erste Mal, dass ich meine Mutter weinen sah, und ich beeilte mich, die Tür rasch wieder zuzuziehen. Mir war ganz schlecht vor Aufregung. Meine Mutter besaß also wirklich einen Schatz, wie die alte Frau behauptet hatte – einen Schatz, den sie so sehr liebte, dass sie zu weinen anfing, als jemand ihn ihr wegnehmen wollte.
    Aber in diesem Märchen stimmte etwas nicht, und ich überlegte den ganzen restlichen Tag, was es war, während ich meinen sonstigen Beschäftigungen nachging.
    Als mein Vater am Abend nach Hause kam und sie wie immer gemeinsam eine Tasse Tee tranken und sich über den Tag austauschten, erzählte meine Mutter ihm von dem Besuch. Sehr beiläufig sagte sie: »Übrigens, Rose war da.« Daraufhin wurde mein Vater aufgeregt: »Was wollte sie?«, fragte er.
    »Na, das kannst du dir doch denken.«
    Mein Vater seufzte und sagte: »Im Prinzip ist es ihr gutes Recht.«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf und machte ihr stures Gesicht: »Das kann man so oder so sehen.«
    Mein Vater stand auf, ohne seinen Tee ausgetrunken zu haben, und ging in sein Arbeitszimmer. Ich sah ihm erstaunt nach. Es war ungewöhnlich, dass meine Mutter sich ihm widersetzte in diesen Tagen, an denen er wegen einer möglichen Beförderung sehr viel arbeitete (er war Ingenieur). Es sprach nie jemand darüber, aber ich wusste trotzdem, dass wir uns mit dem Kredit für das Haus am Kuhlmühlgraben übernommen und daher Geldsorgen hatten.
    Am nächsten Vormittag klingelte es erneut an der Haustür. Meine Mutter lief erst automatisch hin, dann hielt sie inne, überlegte und machte mir ein Zeichen, leise zu sein. Ich spielte gerne mit, nahm auch alles sehr ernst – ich hielt sogar für eine Weile die Luft an. Unserem Beagle Milo flüsterte ich ins Ohr, dass er nicht anschlagen, sondern ganz still sein sollte. Ich setzte mich mit dem Hund in die hinterste Ecke des Wohnzimmers, hinter die Sofas. Wir hörten noch ein Klingeln, eher unentschlossen, dann wurde etwas in den Briefkasten gesteckt und die Schritte entfernten sich. Meine Mutter eilte zum Briefkasten und öffnete ihn: »Verdammt«, sagte sie, »das war der Paketbote!« Sie riss die Haustür auf, sah aber nur noch das davonfahrende Postauto. Den ganzen Nachmittag über war sie schlecht gelaunt, weil sie irgendwelche speziellen Borten und Knöpfe dringend brauchte.
    Als es am folgenden Vormittag klingelte, hatte sie bereits einen Plan. Sie wies mich an, in der Nähe der Tür zu warten, während sie die Treppe nahm und dann aus dem Badezimmerfenster im ersten Stock schaute, wer da war. »Nur wenn ich okay rufe, machst du die Tür auf«, schärfte sie mir ein. Ich nickte aufgeregt. Solche Angst hatte sie also vor Rose. Und ich wusste noch immer nicht, worum es ging. Natürlich hatte ich längst versucht, im Bettkasten nach dem Schatz zu fahnden, aber der Bettkasten war wie ein Gepäckstück seitlich mit kleinen Vorhängeschlössern gesichert. Nun fragte

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