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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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auf Marks ehemaligem Nachttisch an der Wand lehnte: das Gemüsekochbuch. Auf dem Titelblatt lachten Gaby und Tanja Taunstätt hinter einem Brett voller Karotten und Zwiebeln, die völlig echt aussahen, in die Kamera, Frau Taunstätt hielt ein Messer in der Hand, Gaby eine gelbe Plastikpaprika. »Tanjas und Angies Gemüsegeheimnisse« stand darüber. Klar, Gaby war natürlich unter ihrem Pseudonym Angelina Mol vertreten, aber den Namen mochte sie inzwischen gern, lieber als ihren eigenen. Glücklich blätterte sie durch die farbigen Seiten. Und spätestens in diesen Minuten war sie sich völlig sicher, dass sie Jenny nicht auf den Spaziergang mitnehmen würde, bei dem Mark und Britney den Überfall und die Entführung fingieren wollten. Sie würde es den Taunstätts sagen, und die könnten Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Gaby wollte hierbleiben, und es war am einfachsten, wenn Britney einfach wegbliebe. Sie schlüpfte aus den Schuhen und zog sich die Daunendecke über die Beine. Es war ein gutes Gefühl, sich entschieden zu haben. Es war an der Zeit, nicht mehr alles zu wollen, sondern mit dem zufrieden zu sein, was man hatte. Dies war ihr Glück, und so wenig war es ja auch wieder nicht. Immerhin konnte sie sich jetzt schon mit innerem Stolz sagen: »So ist es, mein Leben, so ist es« – jetzt, und nicht irgendwann.
    Sie bemerkte, dass einer der Möpse die Tür aufgedrückt hatte und schwanzwedelnd auf sie zukam, und jeder, der jetzt durch die Tür hereinspähte, sähe eine müde Frau in mittlerem Alter einen Hund streicheln, der im Gegensatz zu dem Menschen neben ihm in diesem Moment zu lächeln schien.

Feen verderben den Tanz
    E ines Dienstagvormittags klingelte es bei uns an der Haustür und eine steinalte Frau stand davor. Mit dem Kopftuch und dem Korb unter dem Arm schien sie einem meiner Märchenbücher entsprungen. Ihr Haar war grau, aber noch sehr dicht, und im Nacken zu einem eindrucksvollen Knoten geschlungen. Alle Kleidungsstücke, die sie trug, waren schwarz oder dunkelblau oder braun, aber an das Revers ihres Blazers hatte sie eine neckische Brosche in Form einer edelsteinbesetzten rosa Schleife geheftet. Sie stellte einen undurchdringlichen Gesichtsausdruck zur Schau, der sich auch nicht veränderte, als meine Mutter, die zuerst nur völlig überrascht auf den Besuch gestarrt hatte, sie nun mit den Worten: »Mein Gott, was für eine Überraschung, Rose«, ins Haus bat. Und auch als sie die Alte überschwänglich ins Wohnzimmer führte und Tee brachte, konnte sie diesen Zügen kein Lächeln entlocken, im Gegenteil, die Frau schien immer grimmiger zu werden. Dass meine Mutter, die sonst wenig Aufhebens um Gäste machte und ungebetene Besucher als Belästigung empfand, so ein Theater um diese bittere Alte machte, wirkte merkwürdig auf mich. Im Übrigen war ich beleidigt: Ich war acht und hatte mich an die maximale Beachtung unserer Gäste gewöhnt – Ausbrüche der Begeisterung, wenn sie mich erblickten, ernste Bewunderung, sobald ich den Mund auftat. Die Frau mit dem Blumennamen sah mich anscheinend gar nicht, ja, den ganzen Vormittag über, den die beiden Frauen mit Kaffeetassen in der Sitzgruppe des Wohnzimmers verbrachten, beachteten mich weder sie noch meine Mutter. Es kam mir vor, als hätte ich nie im Leben existiert.
    Die Tür war einen Spaltbreit offen geblieben, und ich drückte mich dort herum. Wie immer, wenn sie nervös war, redete meine Mutter unaufhörlich, es ging um das Wetter, einen Nachtsturm neulich, dies und das, nichts Wichtiges. Ich horchte auf, als die Alte endlich zu sprechen begann. Sie hatte den Schweizer Akzent meiner Großeltern mütterlicherseits und eine erstaunlich jugendliche Stimme, die so gar nicht zu dem verkniffenen, faltigen Gesicht passen wollte. Ich verstand nicht alles, was sie sagte, begriff aber so viel, dass sie meine Mutter zur Herausgabe von etwas aufforderte – »Es gehört dir nicht«, sagte sie wieder und wieder – und dass sie auf Ablehnung stieß. Dann fiel das Wort, das mich alarmierte: »Es ist ein Schatz, er gehört dir nicht.«
    Ich wusste einiges über Schätze. Man musste sie bewachen, sie waren wertvoll. Sie hatten auf geheimnisvolle Weise mit der Vergangenheit zu tun. Im Geist ging ich die Besitztümer meiner Mutter durch, die vielleicht nicht direkt wertlos, aber doch eher uninteressant waren: ihre Kleider, ihre Bücher, ihre Nähmaschine, denn Schneidern war ihr Hobby. Sie sammelte Mokkatassen, die in einer Glasvitrine im Wohnzimmer

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