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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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gefesselt verbringen, als kein Gentleman zu sein. Bereits am Abend fühlte er sich leicht fiebrig, und am nächsten Tag hatte er Halsschmerzen und erklärte Luisa, er werde den Vormittag im Bett bleiben. Sie hatte großzügigerweise nichts dagegen, und er durfte ihr den Weg zur Scuola Grande di San Rocco im Stadtplan einzeichnen, ihr noch etwas Bargeld geben, und dann begann für ihn ein einsamer Vormittag. Er sah auf die Straße und zum Kanal hinaus, stellte sich vor, wie es wäre, einmal durch leere Gassen zu gehen, aber das gab es natürlich nie, nicht einmal nachts waren die Straßen leer. Die vielen, vielen Male, die die Stadt fotografiert und gefilmt und gezeichnet worden war – sie müsste abgeliebt aussehen, aber sie war immer noch menschlich und exzentrisch zugleich in ihrer ungeordneten Grandezza, ihrem Wust und Wuchern von Straßen und in den weitschweifigen Fassaden, die die Kanäle säumten. Er dachte ans Meer, während er weiter aus dem Fenster sah, die mit Kisten beladenen Transportgondeln beobachtete, die auf dem schmalen Wasserweg geschickt vorbeinavigiert wurden, das Post- und das Notarztschiffchen und die vielen Touristen, die sich von braun gebrannten Einheimischen herumschippern ließen. Er hatte immer deutlicher das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein. Ein weniger gutmütiger und in sich ruhender Mann als er hätte Luisas Verhalten schon lange nicht mehr toleriert, analysierte er jetzt. Wie war es bei ihm so weit gekommen? Wie war es für ihn geradezu zur Gewohnheit geworden, den Tag über jene Demütigungen in kleinen Portionen zu schlucken, die sie ihm so geschickt unter dem Namen »Ehe« verabreichte?
    Nun, er hatte ihre Ungezogenheit am Anfang ihrer Bekanntschaft als eine liebenswerte Form der Exzentrik hingenommen, und später dann, als er vieles überhaupt nicht mehr liebenswert fand, hatte er sich zurechtgelegt, es sei eine Art langwieriger Reflex auf ihre komplizierte Kindheit, mit dem er es da zu tun hatte. Er hatte sich zudem immer öfter in die trügerische Einbildung hineinfantasiert, dass sie ihn bräuchte in den verzwickten Situationen, in die sie sich brachte – sie wäre sonst längst erfroren, verhungert, verloren gegangen, hätte all ihre Freunde und Bekannten verschreckt etc. Er hatte sich zum Retter stilisiert, damit er vor sich selbst nicht als Vollidiot dastand.
    In diesem Augenblick, da er leicht fiebrig dalag und sich der Tatsache gewahr wurde, dass er jetzt dringender als alles andere den Schlachtplan entwerfen musste, wie er seine Position in dieser so genannten Liebesbeziehung verbessern konnte, schöpfte er neue Hoffnung und stemmte sich aus dem Bett. Er genehmigte sich ein ausgiebiges, warmes Frühstück und brach dann, ohne Stadtplan und nur mit seinem Orientierungsvermögen ausgestattet, zu einer eigenen, kleinen Stadttour auf.
    Am Abend trafen sie sich und erzählten sich auf dem Weg zum Essen von ihren Erlebnissen. Er hatte einen bildschönen versteckten Garten entdeckt und sich die geheimnisvollen Fotos des frühen Stanley Kubrick angesehen, sie schwärmte von einem biblischem Zyklus Tintorettos ( Noch einer?, aber er verkniff sich die Frage). Er stellte fest, dass ihm dieser getrennt verbrachte Tag besser gefallen hatte als alle vorherigen.
    Das sind Zeichen, dachte er bei sich, klare Aufforderungen, etwas zu ändern. Worauf warte ich noch?
    Keine Dreiviertelstunde später pflaumte er sie beim Abendessen an, dass er gedenke, seinen Teller Gnocchi selbst zu verspeisen – er buchstabierte ihr »alleine«, als sie ihn ungläubig ansah –, und die übrigen zwei Tage bis zum Abflug stritten sie permanent. Er sagte ihr Dinge, die er bisher kaum zu denken gewagt hatte, aber ausgesprochen fühlten sie sich vollkommen richtig an. Er nannte sie ein hinterhältiges, herrschsüchtiges Weibsbild mit einer massiven Essstörung. »Ohne mich bist du doch zu nichts in der Lage«, brüllte er. »Du würdest keine einzige Kirche finden. Vielleicht den Markusplatz, mit Mühe! Und du wärst längst verhungert. Im Übrigen macht mir so ziemlich alles mehr Spaß, wenn du nicht dabei bist.«
    Sie konnte die Wahrheit über sich nur schwer ertragen. Die letzte Zeit in Venedig gingen sie getrennte Wege.
    Er hatte gedacht, zu Hause würde sie zur Vernunft kommen und sie könnten beide beginnen, an sich zu arbeiten, wobei sie natürlich mehr zu tun hätte. Aber er war bereit, sie bei allem zu unterstützen. Er hatte wirklich viel Zeit, Geld und Gefühle in diese Ehe gesteckt,

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