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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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und genau wie seine Habilitation betrachtete er sie als ein wichtiges Projekt in seinem Leben – ein Projekt, das er nicht so mir nichts, dir nichts aufgeben würde, nur weil er feststellen musste, dass es ihm nicht so geriet, wie er sich das erhofft hatte. Stattdessen verschwand sie nach Berlin. Obwohl er mit der S-Bahn genauso schnell gewesen wäre, nahm er sich aus Trotz ein Taxi nach Hause. Kaum hatte er die Haustür aufgeschlossen, sah er an der Garderobe ihre Sachen friedlich neben seinen hängen, und das war der Augenblick, an dem er erneut beschloss, etwas zu unternehmen, diesmal mit der Umgebung. Statt immer nur auf der Lauer zu liegen und auf eine neue Sprunghaftigkeit von ihr zu warten, wollte er nun selber sprunghaft sein. Er hielt es nicht mehr aus, dass alles um ihn herum genauso aussah wie früher. Seine Gegenwart sollte sich fundamental von der Vergangenheit unterscheiden, und zwar für jeden sichtbar, vor allem für sich selbst. Also musste er umdekorieren. Aber – nicht irgendwie . Er wollte etwas tun, das wirklich gemein war und ihnen beiden den Rückweg noch einmal endgültig verbaute. Nur was? Er kochte sich Spaghetti und setzte sich mit seinem Teller vor den Fernseher. Noch am gleichen Abend hatte er die zündende Idee, und am nächsten Morgen begann er mit der Durchführung. Sobald ihm Zweifel kamen, rief er sich jene Szene im Dogenpalast vor Augen, als Luisa das tausendste Deckengemälde im Reiseführer nachschlug und Text und Gesehenes verglich. Ihre besserwisserische Miene bei der Kunstbetrachtung war ihm besonders verhasst.
    Seufzend hievte Christopher sich vom Boden hoch. Er hatte sein heutiges Pensum geschafft, zehn Kleidungsstücke, vor allem Blazer und Winterkleider, fotografiert, und würde die Dateien jetzt in seinem Arbeitszimmer vom Fotoapparat auf seinen Computer übertragen. Beim Aufstehen warf er noch einmal einen Blick auf die graublau schimmernde Seidenbluse, die er mit geraffter Taille auf dem Boden präsentiert hatte. An einem Ärmel wies sie zwei winzige Blutflecke auf. Er hatte diese Flecken gesondert fotografiert, sie waren wirklich kaum zu sehen, aber er wusste, sie würden den Preis niedrig halten, auch wenn er behauptete, es sei Tinte. Niemand wollte Spuren eines fremden Lebens auf seinem Oberteil mit sich herumtragen. Die Bluse stimmte ihn auf einmal sehr traurig. Er erinnerte sich genau daran, wie Luisa sich beim Apfelschälen ziemlich übel in die Handfläche geschnitten hatte, das Blut floss nur so, sammelte sich zu einer riesigen Pfütze in der Küche, und er hatte ihr, so schnell es ging, einen Druckverband angelegt. Sie war stumm und fast ohnmächtig gewesen, als er sie in die Notaufnahme gefahren hatte, wo er die ganze Zeit ihre gesunde Hand hielt und sie mit irgendwelchen improvisierten Geschichten ablenkte, während der junge Arzt die Wunde an ihrer Rechten mit vier Stichen nähte. Sie hatte sich tausendmal bedankt, dass er sie so schnell zum Krankenhaus gebracht hatte, und sie erlebten an diesem Tag wider Erwarten noch einen ausgesprochen schönen Abend – einen Abend, wie es in Venedig keinen einzigen gegeben hatte. Christopher zögerte, sah die Bluse noch einmal an. Ob er sie nicht als Andenken … Schnell rief er sich die Szene im Dogenpalast vor Augen. Nein.
    »Bildung ist etwas Furchtbares – manchmal«, sagte er halblaut zu der Bluse, und keine halbe Stunde später war die »Hochwertige 100%-Seidenbluse in Mitternachtsblau« zur Versteigerung freigeschaltet. Auf das Wort »Mitternachtsblau« war er besonders stolz. Bevor er den Computer ausschaltete, sah er noch nach, wie die laufenden Auktionen standen. Zwei Rollkragenpullover aus Kaschmir und ein Twinset waren zu annehmbaren Preisen verkauft – wenn man bedachte, dass sie die Stücke in Shanghai gekauft hatten, war sogar ein Gewinn herausgesprungen. Ihr Kimono war bei schlappen 31,50 Euro stehen geblieben, aber das machte nichts; die Auktion lief noch eine ganze Weile. Anfangs war er nervös gewesen, wenn sich in den ersten Tagen rein gar nichts tat oder aber das Kleidungsstück, nachdem die Hälfte der Zeit verstrichen war, auf einem lächerlich niedrigen Preis stehen blieb, doch inzwischen wusste er, dass ausschließlich die letzte halbe Stunde vor Auktionsende entscheidend war. Die Profis von AngelBielefeld bis Zazie22 (Hieß sie wirklich Zazie? Und war sie tatsächlich erst 22 und schon auf Markenklamotten aus?) waren dann alle online, und die Schlacht begann. Ein paar Mal hatte er, um

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