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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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War das nicht ein famoser erster Abend? Nein?
    Nein. Bei der Bestellung wurde es so kompliziert wie immer. Nicht nur, dass Luisa keinen Alkohol trank – sie aß auch nicht. Vielmehr musste man es so formulieren: Sie bestellte nicht.
    »Ich habe eigentlich gar keinen Hunger«, behauptete sie, als sie die Speisekarte lange genug studiert hatte, um sie auswendig herzusagen. Und er, der gerade äußerst zufrieden die hübsche Kellnerin beobachtete, erwiderte friedfertig: »Das kann ja noch kommen. Schau, sie haben Dorade. Und Tintenfischrisotto.«
    Sie reagierte nicht, sondern starrte erneut auf die Rubrik Secondi piatti .
    »Weißt du, was du willst?«
    Verkrampftes Nicken. Er glaubte ihr nicht. Um ihr etwas Zeit zu geben, ließ er sich vom englischsprachigen Kellner mit dem Wein beraten, probierte einen, der ihm zu fruchtig war, und wählte dann einen Montepulciano, der zu seinem Primo piatto , dem schwarzen Risotto, genauso passte wie zum Secondo , Steak mit Polenta.
    Luisa wollte keine Vorspeise und auch nichts von den Primi piatti , bestellte aber das teuerste, nämlich das Meeresfrüchte-Antipasto als Mittelgang, wobei sie erst in umständlichem Italienisch und dann, zur Sicherheit, noch einmal auf Englisch erklärte, sie wolle den Teller zeitgleich mit Christophers Hauptgang serviert bekommen.
    »Bist du sicher, dass dir das reicht?«, fragte er.
    »Natürlich«, schnappte sie, und er ließ es auf sich beruhen. Sie tranken beide ein halbes Glas – sie Wasser, er Wein – und ärgerten sich gemeinsam darüber, dass direkt neben ihnen ein unverschämt gut gelauntes Paar Platz nahm.
    »Deutsche, auch das noch«, meckerte Luisa.
    »So laut muss es wirklich nicht sein«, stimmte er ihr leise zu, wohl wissend, dass sie sich beide insgeheim daran störten, dass die beiden so verliebt Händchen hielten und sich in die Augen glupschten.
    Der Kellner brachte einen Brotkorb, und danach entspannte Luisa sich sichtlich; sie war nun sogar bereit, die Wogen zu glätten, die sie mit ihrer Lästerattacke selbst in Bewegung gebracht hatte. »So ist es eben«, erklärte Luisa wispernd. »Wenn du in Frankfurt in ein erstklassiges Restaurant gehst, sitzen neben dir auch Amerikaner und Franzosen.«
    »Du meinst, das ist keine Touristenfalle, das ist einfach international hier?«
    Sie nickten einander auf ironische Weise zu, und er nahm sich ein Stück Brot. Als sein Risotto kam, veränderte sich Luisas Blick. Man sollte ein Foto schießen, dachte er, und es im Lexikon zum Stichwort Gier veröffentlichen. Er bot ihr pflichtschuldig an, dass sie probieren könne. Sie probierte drei Bissen von der linken Seite, machte dann eine Anstandspause, um sich danach von rechts die dicksten Tintenfischstücke zu angeln. Dann kippte sie Parmesan über eine kleine Ecke, die sie sich zusätzlich abgetrennt hatte.
    »Du bekommst natürlich auch von meinem Teller!«, versprach sie großzügig.
    Aber als er die insgesamt sechs Häppchen kalten Fisch und Garnelen sah, die sie bekam, brachte er es nicht übers Herz, ihr etwas davon wegzuessen. Sie war in Windeseile fertig und sah ihm zu, wie er zufrieden sein Steak kaute.
    »Wie ist es?«
    »Fantastisch.«
    Sie wartete, er wartete.
    Dann schob er ihr, ruhig und verärgert, den Teller hin. Sie probierte, und er zog den Teller trotz ihres anklagenden Blicks wieder zu sich hin. Das Steak war perfekt medium, und die leicht süßliche Cassissauce und die Polenta passten hervorragend. Es wäre auch genau die richtige Portion gewesen, eigentlich. Luisa ließ sich vom Kellner noch einen Teller kommen.
    »Guck mal, er versteht mein Italienisch wirklich!«
    »Toll«, sagte er. Sie wollte nur ein wenig von der Polenta auf ihr Tellerchen. Er gab ihr trotzdem ein Stück Fleisch dazu, und sie akzeptierte schließlich. Akzeptierte auch das Nachfüllen, als das Tellerchen gleich wieder leer war. Sein Hunger war inzwischen eher größer geworden, und er trank noch ein Glas Wein.
    »Nachtisch?«
    »Auf keinen Fall!« Sie machte ein Gesicht als hätte er ihr vorgeschlagen, jetzt gleich eine Runde im Kanal schwimmen zu gehen.
    »Okay«, seufzte er demütig. In ihm kochte es jetzt. Jeden Moment konnte er aufspringen, ihr den Wein ins Gesicht schütten und das Restaurant verlassen. Jede Sekunde. Er bat innerlich inständig darum, dass sie jetzt für ein paar Augenblicke nichts mehr sagte, und er wurde erhört. Sie stand unter einer gemurmelten Entschuldigung auf und ging durchs Restaurant nach hinten. Es war ihm recht,

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