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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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obwohl er es eigentlich nicht leiden konnte, wenn sie sofort, nachdem die Teller abgeräumt waren, auf der Toilette verschwand – das wirkte so bulimisch. Während sie weg war, versuchte er, sich im Kopf die Vorteile aufzulisten, die es hätte, wenn er jetzt keine Szene machte, sondern ihr unmögliches, kleinmädchenhaftes Verhalten durchgehen ließ. Das soll mir nicht den Abend verderben, sagte er sich tapfer. Aber er konnte sich schwer konzentrieren, weil das deutsche Paar neben ihnen nun begeistert über die Hauptgänge herfiel; sie hatten natürlich zwei, für jeden einen, wie es sein sollte. Luisa tauchte wieder auf, die Lippen frisch geschminkt, und machte sich unverzüglich daran, ihm den Nachtisch auszusuchen.
    »Ich glaube, du willst Mousse au Chocolat!«
    »Ähm, nein. Ich nehme die Crème brûlée.«
    »Aber guck mal, da drüben, die haben die Mousse, sieht doch toll aus!«
    »Dann bestell du dir eine.«
    Sie machte ein beleidigtes Gesicht, bestellte sich einen Espresso und besaß dadurch einen eigenen kleinen Löffel, mit dem sie von der Crème probieren konnte. Da sie schon so ein eingespieltes Team waren – er gab, sie nahm –, fragte sie diesmal auch nicht um Erlaubnis.
    »Hm.« Sie leckte den Löffel sorgfältig mit ihrer kleinen, rosa Zungenspitze ab. Ihre Augen glänzten und ihre Wangen waren rot. Fast glaubte er, sie schnurren zu hören.
    »Zu süß für deinen Geschmack?«, fragte er hoffnungsvoll, obwohl er es besser wusste.
    Aber sie machte es spannend, wackelte mit dem Kopf, um sich den Anschein zu geben, als hätte sie noch nicht ganz entschieden, und zückte wieder ihren Löffel. Diesmal zählte er mit. Der Nachtisch war zehn Löffel groß. Er bekam zwei, sie acht. Er überlegte, ob in seinem Handgepäck, bei den Büchern, noch eine Studentenfuttertüte steckte, auf die er eventuell gleich zurückgreifen konnte, trank den Wein aus und rief den Kellner.
    Noch sechs Tage, dachte er. Sechsmal Mittag- und Abendessen. Halte ich aus.
    Als sie das Restaurant verließen, war ihre Laune ausgezeichnet.
    »Siehst du – nur eine Kleinigkeit zu essen reicht mir einfach. Was du an mir sparst!«, trällerte sie.
    Ich habe es bis jetzt geschafft, beglückwünschte er sich innerlich. Nun halte ich auch noch die zwei Stunden, bis wir schlafen gehen, den Mund. Er war immer noch hungrig und zudem ein wenig betrunken, eine Kombination, die er als ausgesprochen unangenehm empfand und für die er ausschließlich das Monstrum, das seit sage und schreibe vier Jahren seine Frau war, verantwortlich machte. Zudem ärgerte es ihn, dass sie voller Energie, die ihr Körper aus seinem Risotto, seinem Steak und seinem Nachtisch nahm, neben ihm herhüpfte und laut überlegte, ob man denn nicht noch etwas unternehmen solle, jetzt, wo sie am nächsten Tag ohne den Hund gar nicht so früh aufstehen müssten.
    »Was glaubst du, hat Benno es bei Dorothee gut?«
    Er brummte etwas.
    Er wusste, dass der Hunger ihn automatisch aus dem Bett und zum Frühstücksbuffet treiben würde, und fand sie wieder rücksichtslos. Anscheinend hatte sie auch vergessen, wie gerne er in aller Herrgottsfrühe, noch vor allen anderen Touristen, durch eine fremde Stadt streifte – er war gar nicht so ein Langschläfertyp, mit Hund oder ohne. Nun, dachte er grimmig, im Prinzip macht mir das auch alleine großen Spaß.
    Und genau so war es am nächsten Morgen. Als er um sechs Uhr aufwachte, überlegte er flüchtig, ein Kondom überzustreifen und die noch schlafwarme Luisa ohne große Umstände zu nehmen, aber sie drehte sich gerade seufzend um, und er roch den Knoblauch von seinem Vorabendsteak in ihrem Atem. Er wurde ganz sentimental, als er an sein Steak dachte und daran, wie hübsch und intakt es anfangs auf seinem Teller gelegen hatte. Er schlug leise die Decke zurück und stand auf. Um sechs Uhr dreißig war er der erste Gast am Buffet, dann lief er gestärkt in den noch kühlen Spätsommertag an den nach Wasser und Fisch riechenden Kanälen entlang in Richtung des jüdischen Viertels. Er kam erst gegen elf Uhr vormittags wieder zurück. Luisa war verletzt und wütend, und da sie, anders als er, nicht die Selbstbeherrschung besaß, über ihre Befindlichkeiten hinwegzusehen, machte sie ihm natürlich eine Szene. Er war kaum eingetreten, da stürmte sie schon mit hässlich verzogenem, verheultem Gesicht auf ihn zu. Er musste lachen, plötzlich und haltlos; er konnte nicht anders.
    »Du lachst?« Vor Erstaunen hörte sie auf zu weinen.
    »Ich

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