Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
Vom Netzwerk:
wirklich charmant – Luisa schrieb niemals charmante E-Mails, sie erledigte sie wie Geschäftspost.
    »Oh«, schrieb Amber, »mit solch einer richtigen Geschichte hätte ich niemals gerechnet. Und wie rätselhaft. Wie schade, dass Sie das Kind nun nicht gemeinsam großziehen können(?)«
    Mist – das Baby hatte er vollkommen vergessen. Aber wie reizend sie ihre Neugierde in ein einziges eingeklammertes Fragezeichen gepresst hatte. Die E-Mail schloss mit der Ankündigung, sie werde jetzt gleich einen Preisvorschlag machen. Sehr gut. Sie war also wild entschlossen. Ein Preisvorschlag war die Alternative zum Versteigern: Man gab einen Fixpreis an, unter dem Kaufwillige gleich zuschlagen konnten. Er hatte absurde 800 Euro eingegeben, aber der potentielle Käufer konnte auch einen niedrigeren Vorschlag machen. Amber hatte 550 Euro vorgeschlagen, das war in Ordnung. Er stimmte zu und beendete damit die Auktion. Dann meldete er sich wieder bei Hotmail an und schrieb Amber, dass er ihr das Kostüm gerne persönlich geben würde – da sie ja offenbar auch in Frankfurt wohne. Und – das war der eigentliche Köder – er würde ihr seine Geschichte erzählen, die ja auch die Geschichte ihrer neuen Chanel-Stücke wäre.
    »Es ist eine spannende Geschichte. Wie Ihnen vielleicht bereits aufgefallen sein mag, ist die Welt voller scharfer Kanten und gefährlicher Ecken, eine vernünftige Zurückhaltung scheint ratsam. Und doch gelingt es mir persönlich immer wieder, irgendwo anzuschrammen«, schrieb er. Das war ihm einfach so eingefallen, und für eine Weile bestaunte er die eigenen Zeilen. Diese Amber war höchst inspirierend. Dann fuhr er fort: »Damit Sie mich nicht für einen Triebtäter halten, möchte ich einen sehr belebten Ort vorschlagen, an dem Sie mich auch schon einmal von Weitem inspizieren, ja, sich notfalls auch wieder entfernen können«, fuhr er fort. »Vor dem Buchkaufhaus in der Nähe der Hauptwache, da steht eine Bank. Gegenüber der englischsprachigen Abteilung. Es ist keine klassische Parkbank, eher so ein dunkelgrünes Metallding, sehr unbequem. Dort werde ich sitzen und auf Sie warten.« Er fand sich witzig und clever. Das war auch angenehm für sie: Falls sie zu früh dran war, könnte sie noch nach Büchern stöbern. » ps : Ich habe die Süddeutsche unter den Arm geklemmt.« Süddeutsche  – das war gut. Die faz las hier jeder, wenn es also die Süddeutsche war, konnte sie davon ausgehen, dass er vermutlich zwei Zeitungen studierte. Das war für ihn immer der Inbegriff des Intellektuellen gewesen, als den er sich, seit er sich außer für Pflanzen auch für Design und Architektur interessierte, gerne sah.
    Ihre Antwort fiel knapp aus: »Warum nicht? Aber bitte eine Stunde später, ich schaffe das sonst nicht. Viele Grüße Ihre …« und so weiter.
    Er las die E-Mail, erst ungläubig, dann begeistert, und dachte »Wahnsinn!« Er hatte fast vergessen, wie leicht und tänzelnd es zwischen den Geschlechtern manchmal zuging. Ein bisschen flirten hier, ein wenig treffen da. Warum auch nicht. Er beschloss, sich noch mal ins Bett zu legen, um ausgeschlafen zu sein.
    Als er am nächsten Tag in der S-Bahn saß – das Chanel-Kostüm sorgfältig in Seidenpapier gewickelt und in einer großen Papiertüte mit schickem italienischem Aufdruck verpackt auf dem Schoß –, schaute er sich seine Mitreisenden genau an. Es wäre doch gut möglich, dass zufällig eine seiner Kundinnen hier saß. Er sah hinüber in die erste Klasse, wo eine bis ins Detail zurechtgemachte Rothaarige besten Alters – pfirsichfarbener Lippenstift, Hermès-Seidentuch, maßgeschneiderter Anzug aus italienischer Wolle – mit ihrer Stepptasche sprach, einer Hundetragetasche. Nein, diese Frau kaufte nicht auf Ebay. Und auch nicht die typische Büroangestellte mit den abgewetzten schwarzen Halbschuhen, die sich jetzt ihm gegenübersetzte – ihr genügte Peek & Cloppenburg. Er bemerkte, dass sie ihn anlächelte, und warf erfreut einen Blick ins Zugfenster, wo er sich gespiegelt sah: ein großer, leider nicht gerade dünner Mann mit der Ausstrahlung eines verträumten Kugelstoßers oder eines friedlichen Bodybuilders mit nicht allzu vielen Stereoiden. Seine Haut, verblassend olivbraun, zeigte noch Spuren der italienischen Sonne. Er fand sich eigentlich ganz manierlich. Als dann eine junge Frau einstieg, sich schräg gegenübersetzte und ihn ebenfalls anlächelte, fragte er sich zum ersten Mal an diesem Tag, ob er vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher