Die Häuser der anderen
Licht an.
Der Stanislassia-Klein-Telefontisch fehlte ebenso wie die Marcel-Breuer-Lampe, die sonst daneben stand. Das Telefonkabel führte in die Küche, wo der Apparat auf der Geschirrspülmaschine stand, an eben jenem Platz, der eigentlich der Alessi-Espressomaschine gehört hatte. Er nahm den Durchgang von der Küche zum Wohnzimmer. Dort sah es ebenfalls aufgeräumt aus, das Ettore-Sottsass-Sofa war weg. Er verstand und doch nicht. »Ebay«, dachte er. Sie musste das alles schon in Berlin geregelt und nur die Abholung für die letzten Tage festgelegt haben. Und in ihm war ein kleiner Teufel, der sagte: »Hut ab, das ist eine echte Überraschung.«
Er atmete heftig ein und aus. Und da hörte er auch schon ihre lächerlich kurzen Schritte.
Sie sah nicht gut aus – ausgemergelt und, falls das möglich war, noch blasser als er selbst.
»Hallo. Hallo, ich habe versucht, dich hier anzurufen, aber es war nur das Band dran …«
Sie klang auch nicht so gut. Eher kurzatmig. Als würde ihr jemand die Luft abdrücken, wenn man es genau bedachte. Er stolperte und ließ sich auf einen Stuhl fallen – er war froh, dass noch einer da war.
»Es – ist ganz schön leer«, sagte er, nicht gerade sehr pfiffig.
»Ja, leer«, echote sie.
Sie schwiegen und schwiegen, und er empfand einen so heftigen Widerwillen gegen sie, dass sich seine Laune urplötzlich wieder hob.
»Es ist gar nicht schlecht, oder?«
»Wie meinst du das?« Ihre Stimme zitterte, genau wie der Schatten, den sie auf die nackte Wand warf. Das machte ihm Mut.
»Naja, es sieht nach einem Neuanfang aus.«
»Also gut, also gut. Ich mache dir einen Vorschlag.«
Er sah eine Art Schimmern in ihren Augen, Lichtspalten im Blau und einen mineralischen Glanz. Gar nicht unnatürlich, aber sehr bemerkenswert. Und ihre Wimpern waren erstaunlich lang. Sie sagte nichts, aber er wusste, dass sie zu ihm käme, wenn er die Arme öffnete und »Versöhnung« sagte. Oder gar nichts sagte, sollte sie doch.
Nachts in der Stadt aller Städte
D ie ungeschriebenen Regeln ihrer Freundschaft besagten, dass, wann immer eine ein Problem hatte, die andere alles stehen und liegen ließ, damit die Angelegenheit gemeinsam besprochen werden konnte. Diesmal war es Anne gewesen, die Rebecca herbeitelefoniert und sie gebeten hatte, sich doch in ein Taxi zu setzen und downtown zu fahren, damit sie sich im Cliff’s treffen konnten, ihrer derzeit bevorzugten Bar im Village.
Nach dem Telefonat streifte Anne unruhig in ihrer winzigen, feuchten, über alles geliebten Wohnung in der Christopher Street herum; da sie es nicht sehr weit hatte, machte es noch keinen Sinn, loszuziehen. Obwohl es ihr wirklich schlecht ging, dachte sie daran, den Blake-Band einzustecken, den Rebecca ihr geliehen hatte, weil die ihn für eine Seminarbeit brauchte. »Er hat sich ein monströses Ich erfunden und den Rest seines Lebens damit zugebracht, dieses Ungeheuer zu sein. Es hat mich umgehauen.« Alles, was Becky sagte, klang echt, kein bisschen gewollt oder übertrieben, Anne fand das bewundernswert. Denn ging es nicht darum: sich selbst zu erfinden? Entsprechend vorbereitet, war Anne von Blake nicht weniger beeindruckt gewesen; am gründlichsten besah sie sich die irren Zeichnungen, schließlich studierte sie Kunstgeschichte. Aber an diesem Abend würden Rebecca und sie nicht über Blake sprechen.
Anne machte sich lange zurecht. Als sie endlich im Aufzug stand, trug sie Overknee-Stiefel zum kurzen Rock, ein ungebügeltes dickes Hemd von Ralph Lauren unter der Lederjacke und einen Pferdeschwanz. Sie war ziemlich groß, mit langem Oberkörper und enormen Händen und Füßen, mit der Maniküre und der Schuhauswahl gab sie sich daher immer besondere Mühe. Sie hatte hin und her überlegt, was mit ihren Haaren zu tun sei, eine Hochsteckfrisur wäre die Alternative zum Pferdeschwanz gewesen, oder auch ein Stirnband, nicht offen, nicht bei der Feuchtigkeit draußen, und sie war jetzt, als sie sich im Spiegel des Aufzugs sah, zufrieden mit ihrer Entscheidung. Es ist gut, dass ich mir die Augen gar nicht erst geschminkt habe, dachte sie, denn ich werde gleich weinen, so viel ist sicher, und dann würde ich aussehen wie Frankensteins Braut. Ein Teil in ihr protestierte, dass es nicht okay war, sich zu einem solchen Zeitpunkt Gedanken darüber zu machen, wie man aussah – meine Güte, sie hatte gerade erfahren, dass bei ihrer geliebten Tante Luisa Brustkrebs diagnostiziert worden war –, aber Rebecca brauchte
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