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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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der Kellnerin her und murmelte: »Man müsste ihr vielleicht mal sagen, dass weder Regisseure noch Modelscouts ins Cliff’s kommen.«
    Anne wollte laut auflachen – das war wieder mal typisch Becky! –, aber dann fiel ihr der deprimierende Grund ihres Treffens wieder ein, und sie verzog nur ein wenig die Mundwinkel. Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen. Anne sah der Kellnerin zu, wie sie am frei werdenden Nachbartisch lächelnd einen Schein entgegennahm. Vermutlich wollte sie wirklich Schauspielerin werden. Sie hatte einen herrlichen, porzellanweißen Teint – den Teint eines sportlichen Engels, der eben mal von seiner Wolke heruntergekommen war, um bei frischem Winterwetter ein wenig den armen Menschlein in ihren überfüllten Bars auszuhelfen.
    »Schieß los«, sagte Rebecca dann, fast barsch. Aber erst einmal kamen die Drinks, und Anne war dankbar für den kurzen Aufschub. Die schöne Kellnerin spürte die angespannte Stimmung und verzog sich gleich wieder; sie legte nicht einmal die Speisekarten ab, die sie mitgebracht hatte.
    »Also, es geht um Tante Luisa – ich habe dir doch von Tante Luisa erzählt?«
    Rebecca nickte, und ihr ein wenig spitzes Gesicht wurde noch besorgter. Das alles wurde übler als befürchtet, schien es zu sagen, und Anne signalisierte ihr, »ja, so ist es«, zurück, indem sie den Kopf senkte und erst einmal den Gin Tonic probierte.
    »Sie hat Krebs«, flüsterte sie dann.
    Jetzt war es heraus. Anne hörte verblüfft den vier Silben nach. She has cancer . Sie hörten sich völlig anders an, als Anne erwartet hatte. Hatten überhaupt nicht die Wirkung, die sie haben sollten. Genau genommen waren es nur irgendwelche Silben, die sich wie zufällig zu Worten formten, und diese Worte wiederum ergaben, rein zufällig, den Satz, dem Anne jetzt, im hohen Geräuschpegel der Bar, vor dem Hintergrund unverschämt gut gelaunter Independent-Musik, nachlauschte: Er klang bei weitem nicht so bedeutsam, wie sie sich das vorgestellt hatte.
    »Du hast sie oft in den Ferien besucht, nicht wahr? Ich erinnere mich, dass du gesagt hast, sie hätte dich zum Kunstgeschichtsstudium angeregt«, sagte Rebecca.
    »Ja, ich war fast jeden Sommer dort. Erst hat meine Mutter mich da eher abgeschoben – sie wollte mit einem neuen Freund allein weg. Aber dann hat es mir so gut gefallen, dass ich von mir aus wieder hinwollte; ich habe mich richtig darauf gefreut.«
    Beide schwiegen und tranken Gin Tonic, dann sprach Anne weiter: »Beim ersten Besuch war ich acht Jahre alt. Da war es mein Onkel Christopher, der alles mit mir unternommen hat. Ich war total auf ihn fixiert; Luisa hat mir später erzählt, dass sie ganz eifersüchtig gewesen wäre. Ich glaube, sie hat mir ein bisschen Angst eingejagt. Sie war so schön und so klug, ich meine, das ist sie immer noch.«
    Sie machte wieder eine Pause, trank einen Schluck. Rebecca gab keinen Mucks von sich.
    »Weißt du, meine Mutter hatte eben alle paar Jahre einen neuen Freund, nachdem mein Vater sie verlassen hat – das ist aber eine andere Geschichte … Jedenfalls, Christopher, der war eben jeden Sommer da, ganz konstant, auf ihn konnte ich mich verlassen. Der typische Ersatzpapa, wenn du so willst.«
    Rebecca nickte, klar verstand sie das. Ihr Gin Tonic war leer, und sie sah sich nach der Kellnerin um. Es war ein Reflex, natürlich, aber es kränkte Anne doch. War es für Rebecca jetzt wichtig, dass sie etwas zu trinken hatten? Andererseits – auch Annes Glas war fast leer.
    »Ja, lass uns noch etwas bestellen«, sagte sie, und damit war sie es, die den Vorschlag gemacht hatte.
    Rebecca sagte mitfühlend: »Es nimmt dich doch ziemlich mit.«
    »Natürlich«, sagte Anne leise.
    Rebecca fummelte in den Taschen ihres Anoraks, der hinter ihr über dem Stuhl hing, und förderte ein Päckchen Zigaretten zutage, erste Ankündigung davon, dass sie sich gleich nachdem Anne ihre Geschichte beendet hatte, vor die Tür stellen und ein paar Marlboro-Wölkchen in den New Yorker Himmel blasen würde. Anne zog sie immer damit auf, dass sie vermutlich die einzige Raucherin ihrer Generation in den Vereinigten Staaten war. Aber jetzt fand sie daran nichts lustig. Sie betrachtete Rebeccas rechte Hand, die sich neben der Schachtel auf dem Tisch ausruhte, und sagte scharf: »Aber vielleicht willst du erst eine rauchen? Bevor ich noch mehr rede?«
    Rebecca fuhr hoch, sah sie an und ihr Gesicht spiegelte die Verblüffung einer jungen Frau wieder, die sich für eine

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