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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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irgendwann konsterniert deren romanhafte Qualität festzustellen.
    Der Baum meinte, dies würde alles so klingen, als sei die Lüge ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Treibens.
    Â»Na ja …« Ivo zögerte.
    Â» Na ja klingt nicht sehr intelligent«, fand der Baum.
    Â»Schon gut«, sagte Ivo, »kommen wir endlich zur Sache. Ich möchte gerne einen von deinen Zapfen mitnehmen.«
    Â»Also doch abschneiden .«
    Â»Nein, abbrechen ist das richtige Wort. Und immerhin frage ich vorher.«
    Â»Super, danke!« meinte der Baum. »Vorher fragen, was ist das? Katholisch?«
    Â»Darf ich jetzt oder nicht?«
    Â»Ach tu doch, wenn’s dich glücklich macht.«
    Ivo brach einen der jungen Zapfen vom gebogenen Stiel herunter und verstaute ihn in seiner Tasche. Die Gruppe unten, vor allem natürlich die strenge Madame, konnte ihn hier nicht sehen. Auch brauchte er kaum zu fürchten, vom Baum verraten zu werden. Er allein konnte sich mit ihm verständigen. Zumindest war das seine Überzeugung.
    Â»Und jetzt die Schatulle«, sagte Ivo und beeilte sich, ein »Bitte!« anzufügen. Kein untertäniges Ersuchen, eher ein ironisch klingendes. Ironie war Bäumen in der Regel lieber als falsche Freundlichkeit.
    Es schien zu wirken. Der Baum antwortete: »Ganz oben.«
    Ivo stieg weiter in die Höhe.
    Obgleich dies nun unausgesprochen blieb, so meinte Ivo zu spüren, wie sehr der Baum beeindruckt war von der Leichtigkeit und dem Feingefühl, mit dem hier geklettert wurde. Ja, der Baum mußte sich konzentrieren, um die Berührungen überhaupt wahrzunehmen. So war es vielmehr Ivos eigener Geruch, der wirkte. Merkbar stärker als seine Schritte und Griffe. Nicht, daß er richtig stank. Trotzdem, der Baum hätte es wohl so ausgedrückt: Wenn hier etwas verdächtig riecht, dann der Mensch, nicht der Zapfen.
    Ivo gelangte in die Krone. Durch die Nadeln konnte er den »Himmel« sehen, das felsige Gewölbe, die Öffnungen der Lichtschächte, Licht wie aus vielen verschiedenen Sonnen, was einem System von Spiegeln zu verdanken war, mit dem es gelang, diesen einen unterirdischen Wald unterhalb der unterirdischen Stadt zu erleuchten. Nun gut, Licht ließ sich lenken. Und es blendete. Auch war jetzt wieder die Hitze zu spüren.
    Â»Und?« erkundigte sich Ivo. »Wo ist die Schatulle?«
    Â»Fragst du auch den Osterhasen, wo er die Eier versteckt hat?«
    Â»Der Vergleich hinkt, denn du hast das Ding ja nicht selbst versteckt, sondern du bist das Versteck.«
    Â»Ach was! Nicht den Osterhasen, sondern den Garten fragen, wo die Nester sind.«
    Offensichtlich hatte der Baum keine Lust, noch weitere Hinweise zu geben.
    Â»Schon gut, ich habe verstanden«, erklärte Ivo und schaute sich um. Da war nichts anderes zu erkennen außer Rinde und Zapfen und Nadeln in einem schaukelnden Meer gleißenden Lichts und bläulicher Schatten. Er zog den kleinen Zettel mit der Abbildung der Schatulle aus seiner Brusttasche, den er zusammen mit der Karte des Waldes von Lopuchin erhalten hatte. Er betrachtete die mit Tusche gemalte Struktur, die den Deckel des Behältnisses über die gesamte Fläche schmückte und die ihm beim ersten Mal als abstraktes Muster erschienen war. Mit einiger Phantasie und aufgrund einer gewissen Spiegelbildlichkeit der linken wie der rechten Seite hätte man die Abbildung für einen Schmetterling halten können, einen flammenden Schmetterling, eine Klecksographie, einen Rorschachtest. Oder was auch immer. – Ivo schaute auf.
    Â»Ein bißchen nach links«, sagte der Baum, der ganz eindeutig zu denen gehörte, die nicht lange den Mund halten konnten. Denen es – um die Geschichte am Laufen zu halten – lieber war, einem Menschen zu helfen, als ihn dumm sterben zu lassen. (Es muß übrigens betont werden, daß es vom Standpunkt eines Baumes eine ausgesprochene Exzentrik bedeutete, mit einem Menschen zu sprechen. Und nicht nur umgekehrt.)
    Ivo folgte dem Rat des exzentrischen Nadelträgers und drehte seinen Kopf und Körper gegen die linke Seite hin. Aber da war nichts. Wahrscheinlich hielt der Baum ihn zum Narren. Möglicherweise war dieser Baum sogar ein Misanthrop und hatte schon einige Leute in seine Krone gelockt, um sie dort mit unsinnigen Hinweisen zu versorgen.
    Â»Hallo!«
    Ivo schaute unter sich. Es war Spirou, der nach oben geklettert kam.

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