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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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warum zwingen sie ihn dazu vor all diesen Tölpeln? Warum lassen sie ihn nicht in das Kabinett herein zu seinem Rendezvous, damit es fremden Blicken verborgen bleibt? Daß er sich diese Frage stellen konnte, zeigte Hero, wie verwirrt er war. Zeugen waren erwünscht, um zu bekräftigen, was Professor Constable gesehen und gehört hatte, und ihn damit in seiner Überzeugung, daß sein Kind wiedergekehrt war, zu bestärken.
    Schon als man ihm das erste Mal von dem Fall berichtet hatte, hatte sich Hero gefragt, warum die Serien von Botschaften von Mary Constable ihrem Vater in offener Séance übermittelt worden waren, so daß Woodmanston sie niederschreiben oder sich an sie erinnern konnte, wenn die Lampen wieder angingen. Hero erkannte jetzt, daß die Botschaften, selbst wenn man sie einzeln hörte oder zusammensetzte und hintereinander las, den hier Versammelten nichts sagen würden, denn keiner von ihnen kannte das Projekt, für das Constable verpflichtet worden war, oder wußte, daß er ein Geheimnisträger war. Erst als Dr. Ferguson die Botschaften noch einmal durchgelesen hatte, nachdem jemand vom FBI gekommen war, um mit ihm über die Teilnahme von Constable an den Séancen zu sprechen, war ihm aufgegangen, wie schlau und raffiniert die Sache eingefädelt war. Ein Laie, der sie hörte oder las, würde in ihnen nichts weiter als gewöhnliche Geisterbotschaften sehen — Gerede von denen im Jenseits, dem Glück oder Unglück jener, die hinübergegangen waren, und ihre Reflexionen über die Trübsal des Lebens auf Erden im Vergleich zu der Herrlichkeit im Himmel. Dies war die alte spiritistische Leier. Niemand ahnte, daß sich etwas Gefährliches dahinter verbarg und daß es so etwas wie eine Gehirnwäsche war, bei der Samuel Constables Ethik und Ehre so weggewaschen wurden, daß er sie nicht mehr zu erkennen vermochte.
    Von neuem drang die Stimme eines Kindes durch das Dunkel. «Sie waren heute ärgerlich, Daddy. Es ist so furchtbar, wenn sie ärgerlich sind, denn sie sind so gut und weise, und ich muß ihnen gehorchen. Sie sagten, du müßtest für uns hier arbeiten, Daddy, sonst dürfte ich nicht wieder zu dir kommen. Sie sagten, du würdest schon wissen, wie.»
    «Mary», rief Constable ohne Scham oder Verlegenheit. «Mein Liebling!»
    «Daddy, ich liebe dich. Laß nicht zu, daß sie mich wieder wegnehmen. Sie wollen nur das Beste der Welt. Sie haben dir eine weitere Botschaft geschickt.»
    «Wie lautet sie, Mary?»
    «Du bist deines Bruders Hüter. Ich verstehe das nicht.»
    «Mein Gott», sagte Constable. «Ich verstehe es.»
    «Leb wohl, Daddy, ich muß jetzt gehen.»
    «Wirst du wiederkommen, Mary?»
    «Ich weiß es nicht, Daddy. Du mußt ihnen gehorchen, damit sie es mir erlauben. Du willst mich glücklich sehen, nicht wahr?»
    «Wirst du mich noch einmal küssen, Mary?»
    «Nein, Daddy. Sie wollen es nicht.» Ihre Stimme war leiser geworden. «Sie rufen mich. Leb wohl, Daddy. Hilf mir!»
    Und dann ertönte ein halb erstickter Schrei des Mediums in dem Kabinett, der alle stumm und gespannt Zuhörenden so erschreckte, daß sie auf ihren Sitzen hin und her rutschten. Als sie sich von dem Schreck wieder erholt hatten, war die kleine Gestalt vor dem Kabinett verschwunden, und Professor Constable hatte sich erhoben und tastete sich zu seinem Platz zurück, und dann hörte man, wie er sich mit seinem schweren Körper auf den Stuhl fallen ließ. Hero hatte, als er an ihm vorüberkam, seinen Atem auf seiner Wange gespürt. Und da war noch etwas anderes einen Augenblick lang, das Alexander Hero halb wahrnahm, halb sich vielleicht einbildete und das ihn aufs äußerste entsetzte. Es war ein Geruch. In seiner Nase spürte er ganz schwach den seltsamen Geruch, der an dem Haar und dem Gewand Ruth Lesleys gehaftet hatte, als ob Constable noch etwas von ihm aufgefangen hätte.
    War der Geruch wirklich? Oder war es nur die Erinnerung an einen Geruch, den er noch in der Nase hatte, wie manchmal Gerüche lange in ihr bleiben, nachdem ihre Ursache nicht mehr vorhanden ist? Welcher? Einen Augenblick ging Hero der Gedanke durch den Kopf: waren Ruth Lesley und Mary Constable durch eine seltsame Verwandlung ein und dieselbe? Die Verwandlung einer großen, schlanken, sinnlichen Frau in ein kleines, sanftes, zartes Mädchen. War das kleine Mädchen dann wirklich ein Phantom?
    «Licht», rief Bessmer so laut und unvermutet, daß eine der Frauen fast einen Schreikrampf bekam und es Hero durch und durch ging. Mit dramatischer

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