Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
naiv war, aber noch mehr auf die Bessmers, weil sie ihn für einen solchen Dummkopf hielten, dem man etwas vorgaukeln konnte, wie den blöden und scheußlichen alten Männern um die Jahrhundertwende, für die «Geisterbräute» hervorgezaubert wurden, mit denen sie sich dann im Dunkeln küßten und ergötzten.
    Dennoch, als die Vernunft den Tumult in seinem Inneren zu bremsen begann, sah er keinen Grund, warum die menschliche Natur oder die Tricks, die benutzt wurden, um sie aufzupeitschen, sich in fünfzig Jahren so sehr geändert haben sollten. Woodmanston und er selber hatten für die Bessmers die Figur eines um seine tote Geliebte trauernden jungen Mannes geschaffen, der innerlich völlig aufgewühlt und obendrein sehr reich war und der der Geeignete für eine physische Manifestation zu sein schien. Da sie wußten, daß sein Aufenthalt in dieser Stadt begrenzt war, hatten sie ihn so weit ausgenommen, wie es möglich war, und dann die Ware geliefert. Aber wer war «Ruth Lesley»? Was war die Quelle des Höllenfeuers, das sie in wenigen kurzen Sekunden in seine Adern ergossen hatte? Und woher war sie gekommen?
    Eins stand fest: Wenn es wirklich einen Peter Fairweather und eine Ruth Lesley gäbe, würde Fairweather noch öfter wiederkommen, um das gleiche noch einmal zu erleben. Und als die Erinnerung an den Kuß und sein Sinn für Humor wieder zurückkehrten, wurde Hero bewußt, daß es ihm noch nicht ganz gelungen war, Fairweather von Hero zu trennen und zu erkennen, wer was wollte.
    Er hörte Woodmanston flüstern: «Haben Sie sie gefunden?» Und im gleichen Augenblick fragte Bessmer: «War jemand dort? Haben Sie Ihr Mädchen in den Armen gehalten?»
    Die Überreste von Peter Fairweather antworteten: «Ja... ja, ich glaube, es war Ruth.» Und dann hatte er die Geistesgegenwart, hinzuzufügen: «Wird sie wiederkommen? Kann ich sie ein andermal wiedersehen?»
    «Vielleicht», erwiderte Bessmer. Stöhnen und Keuchen und ein würgendes Geräusch kamen aus dem Kabinett. «Musik!» befahl Bessmer. «Mutter braucht mehr Kraft.» Ein neuer Choral hallte durch den stickigen Raum. «Alle mitsingen! Singt für Mutter», brüllte Bessmer.
    Wir sollen singen, damit man nicht hört, was die alte Kuh jetzt anstellt, dachte Hero. Eins war sicher, sie hatte auf ihrem Stuhl gesessen und war die ganze Zeit, die er in dem Kabinett war, gefesselt gewesen.
    Jetzt, da sich sein Puls wieder beruhigte und er wieder kühles Blut hatte, konnte Hero seine ganze Aufmerksamkeit auf das lenken, woran er sich von Ruth Lesley und seinem Erlebnis erinnerte.
    Sie war groß gewesen. Als sie ihn umarmt hatte, hatte ihre Braue sein Kinn berührt, so daß er annahm, daß sie etwa ein Meter siebzig groß war. Sie war auch schlank. Die Erinnerung an die Art, wie er seine Arme um sie gelegt hatte, sagte ihm das, und sie war jung, denn er hatte den Druck fester Brüste an seinem Körper gespürt. Dies entsprach genau dem Bild, das er den Bessmers von der toten Ruth Lesley gezeichnet hatte. Ihr Haar war seidig gewesen, aber für seine Farbe, oder wie sie es trug, gab es keinen Hinweis. Ihr Körper war weich, warm und geschmeidig gewesen, und als er sich zwang, sich wieder die erregenden Momente vorzustellen, versuchte Hero sich zu erinnern, was sie getragen hatte, konnte es aber nicht. Seine Hände hatten ein Gewand aus weichem Stoff berührt, aber ob es ein Kleid, ein Laken oder Nachthemd gewesen war, vermochte er nicht zu sagen.
    Und dies und die Erinnerung an die Sinnlichkeit, die in der kurzen Zeit ihm nichts verborgen hatte, war alles. Er konnte Ruth Lesley auf der Straße, in einem Laden, in einem Restaurant begegnen und würde sie nicht wiedererkennen. Er bedauerte jetzt, daß er nicht sein kleines Gerät bei sich hatte, das es ihm ermöglichte, im Dunkeln zu sehen, wie es Mutter Bessmer zweifellos tat. Aber es war wichtig gewesen, sich bei diesem ersten Besuch genau so zu verhalten wie die anderen Teilnehmer und aufmerksam zu sein wie sie, um zu sehen, hören und fühlen, was sie fühlten.
    Etwas klopfte an sein Gedächtnis und verlangte gehört zu werden, etwas, das er übersehen, vernachlässigt hatte. Jetzt machte er sich bemerkbar, der Geruchssinn. Geistergeschichten waren voll von Gerüchen des Meeres, des Grabes, des Schwefels, die die Geistererscheinungen begleiteten. Er erinnerte sich jetzt daran, es war ein besonderer Geruch um sie gewesen. Es war zweifellos der Gestank Mutter Bessmers in dem engen Kabinett, aber als das Mädchen in seinen

Weitere Kostenlose Bücher