Die Hassliste: Roman (German Edition)
Polizei melden, dass dieser Typ dich bedroht hat. Hör dir an, was sie dazu sagen. Dann ist es wenigstens aktenkundig.«
»Ich denk drüber nach«, antwortete ich.
»Denk aber richtig nach«, sagte er und machte eine Pause. »Und du musst es deiner Mutter erzählen.«
»Ich weiß«, sagte ich, aber im Hinterkopf versprach ich mir selbst, dass ich das nicht tun würde. Die Party war ihr South Dakota. Außerdem hatte er ja recht. Ich war nun wirklich kein Waffenexperte. Vielleicht war die Pistole tatsächlich nicht echt gewesen. Wie könnte ich den Unterschied erkennen?
Er drehte sich um, als wollte er aus dem Zimmer gehen. »Geh besser bald schlafen«, sagte er und deutete auf das Kissen und die Decke, die neben mir auf dem Sofa lagen. »Ich bring dich gleich morgens nach Hause. Ich hab zu tun den Tag über.«
Er machte die Stehlampe aus. Das Wohnzimmer war auf einmal in Dunkelheit getaucht. Ich streckte mich auf dem Sofa aus und starrte an die Decke, bis mir die Augen wehtaten, weil ich Angst hatte vor den Bildern dieser Nacht, die sich in meinem Innern wiederholen könnten.Mein Hirn hatte inzwischen ja allerhand Erschreckendes zur Auswahl. Eins aber war sicher: Ich war es unendlich leid, Angst zu haben. So, wie die Dinge lagen, jagte mir allerdings alles, was ich überhaupt tun konnte, Angst ein.
Und noch etwas war mir klar geworden: Dad würde nie mehr die Kurve kriegen. Es war Zeitverschwendung, mich um ihn zu bemühen. Seine Meinung über mich stand fest.
Am Morgen lud mich Dad in seinen Lexus und fuhr mich nach Hause. Keiner von uns beiden redete irgendwas, bis er am Bordstein vor dem Haus anhielt. Es war noch so früh, dass der Himmel grau aussah, und das Haus wirkte, als würde es schlafen.
»Sag Frankie, dass ich euch zwei am Sonntagvormittag abhole«, meinte er. »Wir gehen dann was essen oder so.«
Ich nickte. »Ich richte es ihm aus, aber ich glaub, ich bleib lieber zu Hause.«
Er dachte darüber nach, seine Augen suchten dabei meinen Blick. Nach einer Weile kam ein knappes Nicken. »Sagen wir mal so: Das überrascht mich nicht.«
Nachdem Dad mich abgesetzt hatte, tappte ich hoch in mein Zimmer und ließ mich mit dem Gesicht voraus aufs Bett fallen. Nach einer ganzen Weile kam Mom rein, um mir zu sagen, dass es bald Zeit für meine Therapiestunde wäre, aber ich verscheuchte sie und versprach, dass ich Dr. Hieler am Abend anrufen würde. Ich log sie an, ich wäre zu lange aufgeblieben mit Jessica und müsste jetzt einfach ein bisschen länger schlafen.
Aber nachdem Mom wieder verschwunden war, rollte ich mich auf den Rücken und stellte fest, dass ich schon wieder die Decke anstarrte und auch nicht mehr einschlafen konnte. Darum war ich irgendwann doch aufgestanden und hatte Mom darum gebeten, mich rüber zu Bea zu fahren.
»Olala«, sagte Bea nach einem Blick in mein Gesicht, als ich eine Stunde später ihr Studio betrat. »Ojemine.« Sonst sagte sie nichts. Sie bastelte einfach weiter an ihrem Schmuck, schüttelte ab und zu mitleidig den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
Ich sagte auch nichts zu Bea. Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden. Wollte malen, von allem wegkommen, was passiert war.
Ich holte mir eine leere Leinwand aus dem Regal und trug sie hinüber zu meiner Staffelei. Ich starrte sie derart lange an, dass ich mir sicher war, Mom würde gleich kommen und mich abholen und ich hätte am Ende der Stunde nichts vorzuweisen als eine leere Leinwand, auf der nur für mich Tausende von Bildern zu sehen waren.
Irgendwann nahm ich doch einen Pinsel und hielt ihn über die Palette, völlig unsicher, welche Farbe ich wählen wollte.
»Wusstest du«, murmelte Bea, während sie mit den Fingernägeln eine glänzend grüne Perle aus einer Schachtel pickte und sie auf ein Armband fädelte, »dass es Menschen gibt, die allen Ernstes glauben, Pinsel könnten nichts als malen? Wie engstirnig die Leute manchmal sind.«
Ich starrte den Pinsel an. Meine Hände bewegten sich plötzlich wie von selbst, was mir schon einige Male vorher passiert war. Sie drehten den Pinsel um, sodass seine Borsten sich in meine Handfläche schmiegten. Ich machte eine harte Faust um sie herum. Ich spürte, wie die Borsten auseinandergedrückt wurden und sich in meiner Faust umbogen.
Ich setzte die Spitze des Pinselschafts auf die Leinwand und drückte darauf. Erst nur ein bisschen, dann richtig fest. Da hörte ich ein kleines Reißen und eine Art Knall, als der Pinsel die Leinwand durchstieß und eine
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