Die Hassliste: Roman (German Edition)
gewieft und erkenne immer gleich, wenn’s Leuten nicht gut geht.«
Ich lächelte nicht zurück, sondern blickte nur nach unten auf das Schachbrett und machte den nächsten Zug.
Eine Weile lang spielten wir schweigend weiter, wobei ich mir selbst andauernd aufs Neue versprach, dass ich keinen Ton sagen würde. Dass ich mich an diesen friedlichen Ort der Stille und Einsamkeit zurückziehen würde, der schon im Krankenhaus meine Zuflucht gewesen war. Ich würde mich einfach in mir selbst verkriechen, so lange, bis ich verschwand. Ich würde nie mehr mit irgendwem reden.
Das Problem war nur, dass es mir so verdammt schwerfiel, Dr. Hieler gegenüber zu schweigen. Ihm lag zu viel an mir. Bei ihm fühlte ich mich zu sicher.
»Willst du drüber reden?«, fragte er, und bevor ich etwas dagegen tun konnte, lief mir eine Träne die Wange hinunter.
»Jessica und ich sind keine Freundinnen mehr«, sagte ich. Ich verdrehte die Augen und wischte mir ärgerlich übers Gesicht. »Und ich hab keine Ahnung, wieso ich deswegen heulen muss. Schließlich waren wir sowieso nie richtig befreundet. Das ist alles so blöd.«
»Wie kam’s denn dazu?«, fragte er, wandte sich von dem Schachbrett ab und lehnte sich zurück. »Hat sie etwa beschlossen, du wärst eben doch eine Versagerin, die sie nicht zur Freundin will?«
»Nein«, sagte ich. »So was würde Jessica nie sagen.«
»Wer dann? Meghan?«
»Nein«, sagte ich.
»Ginny?«
»Ginny hab ich seit dem ersten Schultag nicht mehr gesehen.«
»Hm«, sagte er und nickte. Nachdenklich betrachtete er das Schachbrett. »Dann bist du also die Einzige, die das sagt, oder wie?«
»Sie will immer noch meine Freundin sein«, ergänzte ich. »Aber ich kann’s nicht.«
»Weil irgendwas passiert ist«, sagte er.
Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe, so wie er es immer tat, wenn er etwas aus mir herauskriegen wollte.
Ich seufzte. »Das ist aber nicht der Grund, warum ich nichts mehr von ihr will.«
»Reiner Zufall, dass das gleichzeitig passiert ist«, sagte er.
Ich antwortete nicht. Schüttelte nur den Kopf und ließ die Tränen laufen. »Ich will das einfach nur vergessen. Das ganze Drama soll endlich vorbei sein. Außerdem würde mir sowieso keiner glauben«, flüsterte ich. »Es wäre allen egal.«
Dr. Hieler schob sich in seinem Sessel herum, beugte sich vor und richtete seinen Blick tief in meine Augen. »Ich würde dir glauben. Und egal wäre es mir auch nicht.«
Das stimmte sicher. Falls es überhaupt irgendwen kümmerte, was auf der Party mit Troy passiert war, dann Dr. Hieler. Vor einer Woche war es mir noch tröstlich vorgekommen, einfach alles für mich zu behalten. Aber jetzt belastete es mich und tat mir fast körperlich weh.Einen Augenblick später war ich schon am Reden, auch wenn ich es kaum fassen konnte. Es schien, als wäre nicht einmal mehr die Stille mein Freund.
Ich erzählte Dr. Hieler alles. Er saß zurückgelehnt in seinem Sessel und hörte mir zu, wobei seine Augen immer unruhiger wurden und sein Körper immer angespannter wirkte. Schließlich riefen wir zusammen bei der Polizei an, um Troys Drohung zu melden. Der Beamte am Telefon sagte, sie würden dem nachgehen, doch wahrscheinlich könnten sie nicht sonderlich viel tun. Vor allem wenn ich nicht einmal ganz sicher wüsste, dass die Waffe echt gewesen war. Niemand fand, das würde mir recht geschehen. Und keiner warf mir vor zu lügen.
Als die Stunde um war, begleitete mich Dr. Hieler ins Wartezimmer, wo Mom saß und in einer Zeitschrift las. Außer ihr war niemand im Raum.
»Und jetzt musst du deiner Mutter erzählen, was passiert ist«, sagte er. Erschrocken blickte Mom auf. Ihr Mund formte sich zu einem kleinen
o
, während sie zwischen ihm und mir hin und her blickte. »Und du wirst verdammt noch mal zusehen, dass es dir bald besser geht«, verlangte er von mir. »Es kommt überhaupt nicht infrage, dass du jetzt aussteigst. Dafür hast du viel zu hart gearbeitet. Und es wartet noch mehr harte Arbeit auf dich.«
Allerdings war mir gar nicht nach harter Arbeit, und als ich nach Hause kam, wollte ich mich nur noch auf mein Bett hauen und schlafen.
Ich hatte Mom im Auto alles erzählt – auch wie Dad mir auf der Autobahn gedroht hatte, nachdem er gekommen war, um mich abzuholen. Sie wirkte unbeteiligt undfast desinteressiert, während ich redete, und sie sagte auch nichts, nachdem ich fertig war. Aber sobald wir zu Hause waren,
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