Die Hassliste: Roman (German Edition)
Notizbuch zu schreiben. Dieses Buch sollte so eine Art Voodoo-Puppe aus Papier sein. Ich glaube, ich habe mir eingebildet, schon allein diese Liste mit Namen wäre der Beweis dafür, dass die andern die Arschlöcher waren und ich das Opfer.
Also schlug ich mein verlässliches rotes Notizbuch auf, nummerierte die Zeilen auf der Seite von oben nach unten durch und fing an, Namen aufzuschreiben – von Leuten um mich herum oder von Fernsehstars, dazu Denkweisen und Prinzipien, einfach alles, was ich hasste. Als die dritte Unterrichtsstunde zu Ende war, hatte ich eine halbe Seite vollgeschrieben mit Einträgen wie
Christy Bruter
und
Algebra – totaler Blödsinn. Man kann doch nicht Zahlen und Buchstaben zusammenzählen!
und
Haarspray
. Und ich hatte immer noch nicht das Gefühl, damit fertig zu sein, darum schleppte ich das Notizbuch mit in Algebra und schrieb gerade wie wild darin herum, als Nick hereinkam.
»Hey«, sagte er und warf sich auf seinen Stuhl. »Hab dich am Schließfach gar nicht gesehen.«
»Ich war nicht da«, sagte ich, ohne hochzugucken. Ichwar bei dem Eintrag
Dass sich Mom und Dad dauernd streiten
. Das war total wichtig, deshalb schrieb ich es gleich noch viermal hin.
»Oh«, sagte er, dann war er kurz still, aber ich merkte, dass er über meine Schulter linste. »Was ist das denn?«, fragte er mit einem kleinen Lacher.
»Das ist meine Hassliste«, antwortete ich, ohne nachzudenken.
Als wir nach dem Unterricht rausgingen, kam Nick hinter mir her und sagte ganz lässig: »Du solltest die Hausaufgaben von heute auf deine Liste schreiben. Die sind echt scheiße.« Ich drehte mich um und sah, wie er mich angrinste.
Ich lächelte. Er hatte es kapiert – und es fühlte sich supergut an zu wissen, dass ich nicht allein war. »Stimmt«, sagte ich. »Ich schreib’s gleich in der nächsten Stunde auf.«
So hatte sie angefangen, die berüchtigte Hassliste. Als ein Witz. Als ein Mittel, um Dampf abzulassen. Aber dann wurde etwas komplett anderes daraus, etwas, auf das ich nie im Leben gekommen wäre.
Von da an holten wir jeden Tag in Algebra die Liste raus und schrieben die Namen von allen Leuten in der Schule auf, die wir insgeheim hassten. Wir saßen zu zweit nebeneinander in der letzten Reihe und lästerten über Christy Bruter und Mrs Harfelz. Über Leute, die nervten. Über Leute, die uns gegen den Strich gingen. Und ganz besonders über Leute, die uns und andern das Leben zur Hölle machten.
Wahrscheinlich haben wir uns zwischendrin auch mal vorgestellt, dass die Liste veröffentlicht würde – dass wir auf die Art der Welt beweisen könnten, wie übel draufmanche von unsern Mitschülern in Wirklichkeit waren. Dass wir es diesen Typen endlich mal zeigen könnten, den Cheerleadern, die mich Todesschwester nannten, den Supersportlern, die Nick in den Gängen gegen die Brust boxten, wenn keiner es mitkriegte, all diesen perfekten Kids, die kein bisschen besser waren als die Kids mit schlechtem Ruf, auch wenn das keiner glauben wollte. Wir hatten sogar darüber geredet, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn es mehr Listen gäbe wie unsere, weil die Leute auf die Art für das, was sie taten, zur Verantwortung gezogen würden.
Die Liste war meine Idee. Ich habe sie mir ausgedacht. Ich habe mit ihr angefangen, ich habe sie weitergeführt. Mit der Liste begann unsere Freundschaft, die Liste gab uns Zusammenhalt. Dank dieser Liste waren wir beide nicht mehr so allein.
Zum ersten Mal bei Nick zu Hause war ich an dem Tag, an dem ich mich offiziell in ihn verliebt habe. Wir kamen in die Küche, die ziemlich verdreckt war. Irgendwo lief ein Fernseher, dazu hustete jemand, ein Raucherhusten. Nick öffnete eine Tür, die von der Küche über eine Holztreppe hinunter in den Keller führte, und gab mir ein Zeichen, mit nach unten zu kommen.
Der Fußboden war aus Beton, doch darüber war ein kleiner orangefarbener Teppich ausgebreitet, direkt neben einer Matratze, die einfach so auf dem Boden lag, mit ungemachtem Bettzeug darauf. Nick pfefferte seinen Rucksack auf die Matratze und ließ sich selbst darauffallen. Er seufzte tief und rieb sich die Augen.
»Was für ein Tag«, sagte er. »Wenn bloß endlich Sommerferien wären.«
Langsam drehte ich mich im Kreis. An einer Wand standen eine Waschmaschine und ein Trockner, über den irgendwer einen Haufen Hemden geworfen hatte, in der Ecke hatte jemand eine Mausefalle aufgestellt und an der anderen Wand stapelten sich Umzugskisten. Direkt daneben gab es
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