Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
Vom Netzwerk:
es mal jemand in einer Talkshow genannt hatte.
    Mom sprang von ihrem Stuhl auf und beugte sich über mich, doch sie sagte nichts zu mir.
    »Schwester, ich glaub, sie hat Schmerzen. Sie müssen ihr irgendwas gegen die Schmerzen geben. Ted, sorg dafür, dass sie ein Schmerzmittel kriegt.« Und ich merkte, nur gerade eben so und durch einen Schleier von Verwunderung hindurch, dass Mom auch weinte. Das Weinen gab ihren Sätzen etwas Hektisches und Schroffes und ihre Worte wirkten abgehackt und verzweifelt.
    Im Augenwinkel sah ich, wie Dad hinter sie trat, sie an den Schultern packte und vom Bett wegzog. Unwillig ließ sie es geschehen, sie drückte ihr Gesicht gegen seine Brust und die beiden verließen das Zimmer. Ich hörte noch, wie ihr barsches Gezeter leiser wurde, als sie sich den Gang hinunter entfernten.
    Die Krankenschwester drückte irgendwelche Knöpfe an dem Monitor hinter mir, der Polizist schaute wieder auf den Fernsehbildschirm. Frankie stand da und starrte die Bettdecke an, ohne sich zu rühren.
    Ich weinte, bis mir der Bauch wehtat und ich das Gefühl bekam, dass ich gleich brechen müsste. Meine Augen fühlten sich sandig an und meine Nase war total verstopft. Trotzdem weinte ich weiter. Was mir bei all demWeinen im Sinn herumging, kann ich nicht fassen – ich weiß nur, es war trübe und finster und erbärmlich, voller Hass und voller Elend, alles auf einmal. Ich wünschte mir Nick herbei und wollte ihn gleichzeitig nie mehr im Leben wiedersehen. Ich wünschte mir meine Mutter herbei und wollte sie gleichzeitig nie mehr im Leben wiedersehen. Und irgendwo in den entlegensten Winkeln meines Gehirns, das sich selbst zu schützen versuchte, wusste ich auch etwas von meiner Rolle in dieser ganzen Sache. Von einer Art Verantwortung, die ich dafür trug, obwohl ich all das nie gewollt hatte. Und ich war mir nicht mal sicher, wie es wäre, wenn ich alles noch mal durchleben würde – würde ich diese Rolle vielleicht ein zweites Mal spielen? Oder würde ich das auf gar keinen Fall tun? Ich wusste es einfach nicht.
    Irgendwann ließ das Weinen so weit nach, dass ich wieder richtig atmen konnte, was allerdings nicht unbedingt gut war.
    »Ich muss mich übergeben«, sagte ich.
    Die Krankenschwester holte eine Schale von irgendwoher und hielt sie mir unters Kinn. Ich würgte hinein.
    »Bitte gehen Sie einen Augenblick nach draußen«, sagte sie zu den Polizisten. Sie nickten und verließen leise das Zimmer. Als die Tür aufging, hörte ich draußen im Gang die gedämpften Stimmen meiner Eltern. Frankie blieb, wo er war.
    Ich würgte wieder, machte dabei ekelhafte Geräusche und ließ den Rotz aus meiner Nase einfach so in die Schale laufen. Als ich wieder normal atmen konnte, rieb mir die Krankenschwester mit einem feuchten Waschlappen das Gesicht sauber. Das fühlte sich gut an – kühl und beruhigend.Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf wieder auf dem Kissen ab.
    »Nach der Narkose ist Übelkeit etwas ganz Normales«, erklärte mir die Schwester mit einer Stimme, die durch und durch sachlich klang. »Das legt sich nach einer Weile. In der Zwischenzeit solltest du immer alles dahaben, was du brauchst.« Sie gab mir eine saubere Schale, faltete den Waschlappen und legte ihn mir auf die Stirn, dann verließ sie auf ihren geräuschlosen Sohlen den Raum.
    Ich versuchte, an gar nichts zu denken. Ich bemühte mich, die Bilder in meinem Innern zu schwärzen. Aber das schaffte ich nicht. Sie stürzten auf mich ein, jedes neue noch viel schlimmer als das vorherige.
    »Ist er im Gefängnis?«, fragte ich Frankie. Blöde Frage. Natürlich war Nick im Gefängnis nach einer Sache wie der hier.
    Frankie sah mich direkt an, irgendwie erschrocken, als hätte er ganz vergessen, dass ich mit ihm im Raum war.
    »Valerie«, sagte er, blinzelte und schüttelte den Kopf. Seine Stimme klang heiser. »Was   … was hast du gemacht?«
    »Ist Nick im Gefängnis?«, wiederholte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ist er abgehauen?«, fragte ich.
    Wieder ein Kopfschütteln.
    Mir war klar, dass es dann nur noch eine Möglichkeit gab. »Die haben ihn erschossen.« Ich hatte es als Feststellung und nicht als Frage gesagt, darum war ich verblüfft, als Frankie auch diesmal den Kopf schüttelte.
    »Er hat sich selbst erschossen«, sagte er. »Er ist tot.«

 
    Mai 2008
    »Ich hab’s nicht getan.«

     

 
    Schon seltsam, dass ausgerechnet der eine Name aus unserem gesamten Jahrgang, der sich am meisten in die Erinnerung einbrannte

Weitere Kostenlose Bücher